Der Apfelkuchen

  • Es war einmal eine Frau, die war weder besonders schön, noch besonders klug, die liebte einen Mann, der auch nicht besonders schön oder klug war. Der Mann und die Frau wohnten jede/r für sich in einem kleinen Haus auf zwei Hügeln, die sich gegenüber lagen. Oft spähte die Frau aus dem Fenster ihres Hauses zu ihrem Nachbarn hinüber und hoffte, ihn zu sehen oder ihn auf ihren Wegen im Wald zu treffen, beim Holzsammeln, bei der Beerenernte oder beim Wasserholen. Doch wenn sie sich - viel zu selten - trafen, waren beide zu schüchtern, um beieinander stehenzubleiben.


    Nachdem sie sich wieder einmal flüchtig begegnet waren und die Frau mehr als gewöhnlich darunter litt, dass ein Jahr nach dem anderen verging, ohne das etwas geschah, da entschloß sich sich, die Einsamkeit zu durchbrechen.


    Am nächsten Morgen ging sie zu seinem Haus. Dabei mußte sie durch kniehohes Gras stapfen, da es keine Wegesverbindung zwischen den beiden Nachbarn gab. Der Mann erhob sich überrascht von der Bank vor seinem Haus, auf der er gesessen hatte. "Was treibt Dich den hier herauf?" Damit waren sie ja eigentlich schon beim Thema, dennoch dauerte es noch einige Zeit, bis sie sagen konnte: "Weißt Du, dass ich Dich gern habe? Ich wollte Dich fragen, ob Du mich auch gern hast?" "Ja, doch, schon, aber deswegen brauchst Du doch nicht extra zu kommen! Ich dachte, Du weißt das!" Verwirrt rang sie die Hände. "Soll denn alles so bleiben?, rief sie. Er hob die Brauen: "Wieso denn nicht?" "Ich möchte mit Dir leben. Verstehts Du denn nicht?" "Doch, ich bin ja nicht taub. Nur ist das Ganze nicht so einfach. Es fordert große Opfer, zu lieben. Ich bin ein verwunschener Prinz. Wenn Du mich heiraten willst, mußt Du zunächst eine schwere Aufgabe vollbringen, um den Eisenring zu sprengen, der um mein Herz liegt." Er drückte ihr ein Körbchen mit Äpfeln in die Hand und fuhr fort: "Sieh her! Diese Äpfel mußt Du in Deinen Garten pflanzen und sieben Jahre lang jeden Morgen mit Deinen Tränen gießen. Sind die sieben Jahre um, so mußt Du die Äpfel ernten, einen Apfelkuchen daraus backen und zu mir bringen. Während der ganzen Zeit darfst Du nicht mit mir sprechen, wenn Du mich triffst, darfst Du mich nicht besuchen und niemals an meiner Liebe zweifeln. Wenn Du mir den Apfelkuchen bringst, wird der Eisenring um mein Herz zerspringen und ich werde Dich heimführen."


    Die Frau nahm den Korb mit den Äpfeln und ging langsam zurück. Obwohl sie nicht besonders klug war, wußte sie doch, wie schwer diese Aufgabe zu lösen sein würde, aber sie zweifelte nicht an der Kraft ihrer Liebe. Wäre sie etwas klüger gewesen, hätte sie sich vielleicht gefragt, ob ihr diese Aufgabe auch gestellt worden wäre, wenn sie etwas schöner gewesen wäre.


    Sie grub die Äpfel rund um ihr Haus ein, und weil das Wetter warm und feucht war konnte sie bald die ersten grünen Blättchen aus dem Boden sprießen sehen. Wie es sie geheißten hatte, bewässerte sie die jungen Pflänzchen jeden Morgen mit ihren Tränen. Wenn die Sommerabende warm waren, blickte sie sehnsüchtig zu seinem Haus hinüber und wünschte sich, sie könnte bei ihm sein. Doch sie hielt sich an seine Anweisung. Wenn sie ihn zufällig traf, schenkte er ihr ein Lächeln, das sie stolz nach Hause trug und an dem sie sich noch tagelang die Hände zu wärmen versuchte. Doch sie war einsam, und die Jahre vergingen nur langsam. Weil sie aber ein frommes Herz hatte und einen festen Willen, tat sie was er verlangt hatte. Und so wuchsen die Bäume heran. Im siebten Jahr erntete sie mit zitternden Händen die Äpfel von den Bäumen, die ihr Haus so dicht umgagen, dass man kaun noch das rote Dach sehen konnte. Sie schälte die Früchte ihres Fleißes in Windeseile - knetete den Teig, zündete das Feuer im Ofen an und schob die gefüllte Form ins Rohr. Als sie sich an den Ofen setzte und auf den Kuchen wartete, legte sie die frommen Hände in den Schoß und ließ noch einmal die lange Zeit an sich vorüberziehen: die warmen, endlosen Sommerabende und ihre eifrige Arbeit in Haus und Garten und wie sie alle Schwierigkeiten des Lebens allein bewältigt hatte, denn es gab ja keinen, der ihr zur Seite stand. Der, den sie liebte, residierte dort oben auf seinem Berg und ließ sich vom Wegrand aus bewundern. Sie wunderte sich über die plötzliche Bitterkeit in ihren Gedanken.


    Sie zog den köstlich duftenden Kuchen aus dem Ofenrohr, nahm ihn und ging zum Haus des Mannes hinüber. Der saß wie damals vor dem Haus auf seiner Bank. Drei Schritte vor ihm blieb sie stehen. Sein Blick glitt von dem Kuchen zu ihrem Gesicht. In seinen Augen malte sich Erstaunen. "Aber die sieben Jahre sind noch nicht vollständig um!" Sie sah ihn lange an, dann wandte sich sich wortlos ab und ging zu ihrem Haus zurück.


    In der Küche stellte sie ihren Kuchen auf den Tisch und setzte sich daneben. Ihre Katze sprang neben ihr auf die Bank und miaute fragend, stupste ihre Hände an, doch die Frau reagierte nicht. Da sprang die Katze auf den Tisch, stolzierte zierlich zu dem verschmähten Kuchen und roch interessiert daran. Da endlich kam Bewegung in die Frau. Wütend sprang sie auf und rief: "Verdammt! Soll den alles für die Katz sein?! Das mache ich nicht länger mit!" Noch am selben Tag packte sie ihr Bündel, steckte den Apfelkuchen als Wegzehrung zu sich, klemmte die Katze unter den Arm, verschloß das kleine Häuschen und zog in die weite Welt.


    Der Verfasser ist mir leider derzeit nicht bekannt