Rollenwechsel in bindungsängstlichen Beziehungen

  • Hallo, ich habe gesehen, dass es in dem Buch "Bindungsangst verstehen und überwinden. Warum Männer und Frauen unter Beziehungsangst leiden und was Sie als Betroffener oder Partner tun können." (Autoren: Theresa König, Ole Andersen Herausgeber: Das Beraterteam) ein Kapitel Rollenwechsel in bindungsängstlichen Beziehungen gibt. Was ungefähr steht in diesem Kapitel und wie sind Eure Erfahrungen dazu?

  • okay, genauso geht es mir nämlich. das hat sich auch mehr als einmal bei ein- und demselben mann vollzogen. schöner mist. warum ist mir das alles erst so spät im leben klar geworden? warum sind die ängste so heimtückisch? ich hasse es, dass mir die einen immer weniger bedeuten und die anderen schmerzhaft entgleiten.


    wenn der wechsel beim gleichen mann kam, war es eigentlich immer gleich: er hatte emotionales oberwasser und hat mich stufenweise immer mehr gekränkt bis mir der kragen geplatzt ist, ich mich gewehrt habe und schlagartig das interesse verloren habe oder es ihm nur noch heimzahlen wollte. dann hat es ihnen oft sehr leid getan und manche versuchen selbst jetzt noch (nach teilweise über zehn jahren) den faden mit mir wieder aufzunehmen.

  • Ach du meine Güte... das bin ja ich! Okay, nicht ganz. Ich habe noch nie mit einem Mann zusammen gewohnt. Aber von der Denkweise her hat die fiktive Person Christine doch eine gewisse Ähnlichkeit mit mir. Nur dass ich bei Männern nicht unbedingt Wert auf gutes Aussehen, Sportlichkeit und Erfolg bei Frauen lege. Aber ich mag auch lieber Abenteurer als Männer, die keine besonderen Hobbys haben und nur zu Hause sitzen, hehe… :mrgreen: .


    Meine beiden Beziehungen waren übrigens auch schon beim Kennenlernen kompliziert. Mein erster Freund wollte mich erst unbedingt haben. Ich gab ihm relativ schnell meine Zusage, und dann machte er plötzlich einen Rückzieher. Ich lief ihm hinterher, er verhielt sich total widersprüchlich, ich war irgendwann sauer, fühlte mich verarscht und hakte ihn endgültig ab. Irgendwann hatte ich einen heißen Flirt mit einem anderen Mann und entwickelte Gefühle für ihn, aber er wollte mich nicht... und dann kam „er“ auf einmal wieder. Wir wurden ein Paar, als ich längst mit ihm abgeschlossen hatte.


    Meinen zweiten Freund traf ich das erste Mal in einer Kneipe. Er sprach mich an, flirtete mit mir und gab mit seiner Handynummer mit der Bitte, mich bei ihm zu melden. Er wollte mich kennenlernen. Noch in derselben Nacht schrieb ich ihm und fragte, ob er gut nach Hause gekommen sei – keine Antwort. Am nächsten Tag trafen wir uns zufällig auf einem Flohmarkt. Ich ging auf ihn zu. Er grüßte höflich, war aber sonst ziemlich reserviert. Ich hakte sein Verhalten unter Desinteresse ab und dachte nicht mehr über ihn nach.
    Nach einigen Monaten sahen wir uns zufällig wieder. An diesem Tag flirteten wir wie wild. Ich hatte etwas mehr getrunken und gab ihm just for fun einen Kuss. Er erwiderte das und meinte: „Hey, das ist aber nur Spaß! Ich will auf keinen Fall eine Beziehung mit dir.“ Damit war ich einverstanden, weil ich ihn nach der Aktion damals nicht mehr richtig ernst nehmen konnte. Ich ging auch nur aus Spaß mit ihm ins Bett, was sonst nie meine Art war. Tja... und dann wollte er völlig überraschend doch mit mir zusammen sein.


    Fazit: Wenn ich mich verliebe, halten mich die Männer auf Abstand oder ziehen sich ganz zurück. Und wenn sie mir mehr oder weniger egal sind, wenn ich sie eher wie Kumpels oder Affären behandle, dann wollen sie was Festes. Unter diesen Umständen frage ich mich, ob ich überhaupt beziehungsfähig bin, ob das an den Männern liegt oder ob das tatsächlich der normale Lauf der Dinge ist.

  • Wenn man an einen bindungsängstlichen Menschen gerät ist es immer gut auch bei sich selbst zu schauen woran das ganze Hin und Her gelegen hat, bzw. warum man sich ausgerechnet so einen Partner ausgesucht hat. Meistens tragen beide zur Komplikation der Beziehung bei.
    Sei es, weil die auf Abstand gehaltenen Partner ihre Verlustangst nicht im Griff haben/hatten, oder weil sie eben selbst bindungsängstliche Züge aufweisen.


    Betrachtet man deine Geschichte Reni könnte es durchaus sein, dass du zu den passiven Bindungsvermeidern gehörst, da dir diejenigen Männer besonders interessant für eine Beziehung erscheinen, die dir das Maß an Verbindlichkeit welches du dir wünschst zumeist gar nicht geben können/wollen.

  • Roca, ich habe mir gestern noch viele Gedanken über deine Worte gemacht. Ich habe ein paar Dinge im Haushalt erledigt, gleichzeitig nachgedacht, ein paar Tränen vergossen und zwischendurch immer mal wieder einige Passagen aus „Jein!“ nachgelesen. Du hast Recht: Ich vermeide engere Bindungen zu einer ganz bestimmten Gruppe von Menschen. Und zwar handelt es sich um Personen, die mich sehr an meine Familie (v. a. meine Mutter) erinnern.


    Ich hab´ ja schon geschrieben, dass ich als Kind definitiv nicht vernachlässigt wurde. Ich bekam Liebe, Zeit, Aufmerksamkeit, und meine Eltern waren immer für mich da. Aber meine Mutter hatte eine ganz bestimmte Vorstellung davon, wie ich zu sein hatte. Sie wünschte sich eine brave Tochter, die am liebsten zu Hause bei ihr saß und mit Puppen spielte. Nur war ich eben nicht so. Im Kindergarten war ich nie in der Puppenecke. Ich saß am liebsten am Maltisch, zeichnete oder beschäftigte mich mit Puzzles. Außerdem konnte ich schon mit 4 Jahren lesen, schreiben und mit den Zahlen bis 20 rechnen. Das hat meine Mutter jedoch nicht gestört, sie hat es mir selbst beigebracht. Und ich fühlte mich nicht dazu gezwungen, es machte mir wirklich Spaß.


    Andererseits hätte ich gerne öfters draußen mit den Kindern aus der Nachbarschaft gespielt. Das war aber nicht drin. Meine Mutter hatte 3 Fehlgeburten. Außerdem hat sie als ich 5 war mit eigenen Augen gesehen, wie ein Junge auf dem Fahrrad von einem LKW angefahren wurde. Sie hatte immer übertrieben panische Angst um mich und dachte, ich könne nicht selbst auf mich aufpassen. Ich war sehr traurig, dass ich immer nur zu Hause war, während andere Kinder draußen spielten.


    In der Grundschule wollte ich gerne ein Instrument lernen, so wie viele andere Kinder aus meiner Klasse. Meine Mutter hat mir das verboten, weil sie dann 90 Minuten pro Woche weniger Zeit mit mir gehabt hätte. In der Pubertät ging es los mit Partys, Kneipenbesuchen und Diskotheken. Ich war fast nie dabei, weil meine Mutter mich immer um sich haben wollte. Für andere Mädchen war es mit 15, 16 ganz normal, sich die Haare zu färben, sich zu schminken und mit Jungs zu flirten. Ich durfte das alles nicht, weil meine Mutter sich total an mich klammerte (dabei hatte sie immer genügend Freundschaften). Zu Hause hatte ich keine Privatsphäre. Wir lebten in einer kleinen Mietwohnung, und ich musste mir das Zimmer mit meinem kleinen Bruder teilen. Den Zimmerschlüssel hatte meine Mutter, weil sie immer genau wissen wollte, was ich machte. Sie schnüffelte auch regelmäßig in meinen Schränken und Schubladen, und sie las in meinen Tagebüchern, wenn ich in der Schule war. Ich konnte nicht einmal alleine 3 km mit dem Bus in die Nachbarstadt fahren und mir dort neue Klamotten kaufen, meine Mutter war immer dabei (außer wenn ich für die Familie Lebensmittel einkaufen sollte, das durfte ich alleine machen... aber halt in unserem Wohnort).


    Mit 16 hatte ich mal 2,5 Wochen lang in den Pfingstferien einen Ferienjob. Das war das einzige Mal, das mir das erlaubt wurde. Meine Mutter hatte Angst, dass ich zu viel Freiheit bekam, wenn ich neben dem Taschengeld noch weitere finanzielle Mittel zur Verfügung hatte. Ich fühlte mich wie im goldenen Käfig und war oft unglücklich, obwohl ich immer geliebt wurde.


    Nach dem Abitur machte ich eine schulische Ausbildung. Erst nach dem Abschluss verdiente ich mein eigenes Geld, da war ich 22 oder 23. Und dann holte ich so einiges nach, was ich aus meiner Sicht verpasst hatte. In meinen 20ern hatte ich eine recht stürmische Phase. Da war ich 4-5x pro Woche unterwegs, jeden Freitag und Samstag bis in die frühen Morgenstunden sowie an einigen Werktagen bis ca. 22-23 Uhr. Ich wollte so wenig Zeit wie möglich mit meiner Mutter verbringen und nahm fast jedes Angebot von anderen Personen an, nur um nicht zu Hause zu sein. Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass ich niemals Drogen genommen habe oder anderweitig straffällig geworden bin.


    Aber ich entwickelte eine Abneigung gegen „spießige“ Leute... gegen Menschen, die ähnlich drauf waren wie meine Mutter, die noch nie ein Partymensch war und keine ausgefallenen Hobbys hatte. Inzwischen hat sich einiges geändert. Ich bin älter geworden, bei weitem nicht mehr so oft unterwegs (unter der Woche fast gar nicht mehr, kann auch mal 1-2 WE am Stück alleine zu Hause sein) und bleibe nicht immer bis in die frühen Morgenstunden weg. Und ich weiß Kontakt zu „spießigen“ Personen mehr zu schätzen, wenn es sich um rein freundschaftliche Kontakte handelt. Ich pflege Kontakt mit solchen Leuten, wenn es liebe Menschen sind, auch wenn es kaum Gemeinsamkeiten gibt. Ich könnte mich aber nach wie vor nicht in einen Mann verlieben, der ein ähnlich „spießiges“ Leben führt wie meine Mutter.


    Wobei ich aber nicht glaube, dass nur „spießige“ Menschen beziehungsfähig und –willig sind. Ich kenne durchaus auch Personen mit ausgefallenen Hobbys, Berufen oder Kleidungsstilen, von denen einige manchmal gerne Party machen, die seit Jahren in einer glücklichen Partnerschaft inkl. Treue und Verbindlichkeit sind. Das gibt es. Fast alle Frauen aus meinem Hobby-Umfeld (nur diese eine 1,88 m-Freundin, die mal vor Jahren eine Liebeserklärung von meinem BÄ bekam, ist derzeit Single) haben ihre Partner in genau diesem Umfeld gefunden. Nur im Unterschied zu mir haben sie wohl nicht soooo große Sehnsucht nach der Liebe zu einem Menschen, der nicht das typisch kleinbürgerliche Leben führt. Sie hatten zu Hause gewisse Freiheiten, die mir verwehrt blieben und sind deshalb lockerer im Umgang mit dem anderen Geschlecht als ich es bin. Ich bin nur locker, solange ich keine tiefen Gefühle für einen Mann habe. Ich war schon immer sehr verkrampft in dieser Hinsicht und weiß nicht, wie ich das abstellen soll… vielleicht auch, weil ich lange unter Druck stand. Bei uns Südländern ist es nämlich üblich, dass alle Menschen eines Tages heiraten und eine Familie gründen. Meine Cousins, Cousinen und mein Bruder sind alle verheiratet oder seit vielen Jahren in einer festen Beziehung. Ich bin der einzige Langzeitsingle in der ganzen Familie. Mittlerweile ist der Druck ein wenig von mir abgefallen, weil alle denken, dass ich sowieso niemanden mehr finde.


    Ob sich an meiner Situation jemals etwas ändern lässt, ohne dass ich mich auf näheren Kontakt mit "spießigen" Männern einlassen muss? Ich weiß es nicht...

  • Also ich kennen diesen Rollenwechsel auch nur zu gut. Ein kleines Beispiel, mein erster Mann. Ich lernte ihn mit 16 kennen, anfangs war ich dann noch ganz euphorisch, aber bals stellte sich eine innere Abwehr ein. War er da, ging er mir auf den Keks, war er weg, vermisste ich ihn. Irgendwann machte ich aus dem Nichts schluss, weil ich das so nicht mehr wollte. Er weinte, ich hatte Mitleid und gab nach. ich zog sogar mehr oder weniger zu ihm um aus meinem Elternhaus rauszukommen.Er war auf Montage, also kein Problem.
    Ich verhielt mich wie der typische aktive Vermeider. Kein Sex, zog mein Ding durch..liess ihn nach meiner Nase tanzen. Nach 3 Jahren hatte er wohl die Schnauze voll. Er machte aus dem Nichts heraus Schluss. Und ich wandelte mich von einer Sekunde komplett und wir tauschten für einige Zeit die Rollen. Bis ich wieder die Oberhand hatte und das Spiel konnte wieder beginnen. So ging das 14 ! Jahre lang, bis ich mich endgültig trennte.

  • Wenn ich mir diese Geschichten so durchlese, wird mir klar, warum sich manche Männer anfangs sehr um mich bemühten und dann auf einmal den Rückzug antraten, wenn ich ihr Interesse erwiderte. Das ist mir schon einige Male passiert. Meistens waren sie schon weg, noch bevor überhaupt was gelaufen war.


    Einmal hatte ich was mit einem Typen (ich bezeichne es nicht als Beziehung, wir waren nur 19 Tage „zusammen“), den ich in der Frühphase nur als guten Kumpel betrachtete. Ich war gar nicht an einer Beziehung mit ihm interessiert, er wollte mich aber unbedingt haben und legte sich so richtig für mich ins Zeug. Er schrieb mir rund um die Uhr SMS, wir telefonierten mehrmals pro Woche, er wollte mich dauernd sehen, das ganze Programm halt. Als wir offiziell ein Paar wurden und ich ihm meine Zusage gab, weinte er vor Glück. Er äußerte schon 2 Wochen nachdem es offiziell war seinen Wunsch von einer gemeinsamen Wohnung, was mir eindeutig viel zu schnell ging.


    Andererseits hatte er mich mit seinem Verhalten dermaßen eingewickelt, dass ich mich an die schöne neue Situation gewöhnte und mir immer mehr etwas Ernsthaftes mit ihm vorstellen konnte. Also fing ich an, sein Verhalten zu spiegeln, meldete mich immer öfter, meine SMS wurden liebevoller... ich verhielt mich genauso wie er in der Zeit, als wir noch nicht zusammen waren. Auf einmal ging er auf Abstand, meldete sich 2 Tage nicht bei mir und drückte mich weg, als ich ihn anrief. Ich bekam totale Panik und sprach ihm auf den Anrufbeantworter. Am nächsten Tag servierte er mich per SMS ab.... Begründung: Er hätte nie etwas für mich empfunden und sich seine Gefühle nur eingebildet.


    Dass er mich nur ins Bett kriegen wollte, glaube ich nicht... soweit war es noch gar nicht gekommen. Ich lernte später meine beiden Vorgängerinnen und meine Nachfolgerin kennen. Sie waren alle mit ihm in der Kiste gewesen und wurden trotzdem mit ähnlichen Aussagen nach kurzer Zeit von ihm abserviert. Das Ganze ist schon lange her, ca. 12-13 Jahre, und ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Mann noch nie eine längere Partnerschaft hatte. Für ihn ist eine Frau nur interessant, solange er sie emotional nicht sicher hat. Sobald sich die Frau in ihn verliebt, bekommt er Panik und flüchtet.

  • Rollenwechsel: ja.


    Aber: Die echten Probleme, die, die uns in Foren führen, entstehen erst, wenn jemand verantwortungslos agiert. Erst das macht die Sorte Mensch aus, die hier besprochen wird. Daher passts andererseits auch wieder nicht.