Mit Freunden/Familie über BA reden: sinnvoll? Verständnis?

  • Hallo zusammen


    Ich wollt euch mal fragen, wie es euch so geht. Habt ihr mit Freunden und Familie über BA gesprochen? Können diese das Problem nachvollziehen?


    Ich hatte selber nun schon einige Male das "Vergnügen" zu merken, dass für Aussenstehende ohne Wissen über BA teilweise null und gar nicht nachzuvollziehen ist, wovon ich spreche. Da kommen dann halt Standardsätze wie "er wollte nicht wirklich" oder "ach der ist halt einfach doof, wenn er nicht antwortet" über "das ist sicher kein Muster, neuer Mann, neues Glück". Und wenn ich dann darüber spreche, dass ich diese Männer wohl nicht zufällig anziehe, sondern selber ein Muster innehabe, meinen sie es noch besser mit Sprüchen wie "du musst nicht den Fehler bei dir suchen, dass der andere ein Idiot ist".


    Natürlich weiss ich, dass es schwierig ist, auf die Schnelle zu schildern, um was es geht, und auch für die Gegenseite, zu wissen, was ich überhaupt meine. Trotzdem frustriert es mich irgendwie. Je mehr ich über Beziehungs-/Bindungsmuster erfahre und verstehe, desto schlimmer ist es auch für mich, zu sehen, wieviele unsicher gebundene Personen ich in meinem direkten, persönlichen Umfeld habe. Wieviele Freunde und Familienmitglieder ähnliche Tendenzen aufzeigen aber keine Ahnung haben, was dahinter stecken könnte. Leider haben diese ja irgendwie auch wenig Aussicht auf Besserung, wenn sie nicht wissen, dass sie vermutlich in Mustern gefangen sind.


    Zwar bin ich nicht für diese Menschen um mich rum verantwortlich, aber wie soll ich nur mit diesem (Mehr-)Wissen umgehen? :study:


    LG
    Citrus

  • Meine Erfahrung ist, dass die Leute, die sich mit dem Thema nicht auskennen eben wie von dir geschildert reagieren "auch andere Mütter haben schöne Töchter" etc.


    Wenn man sich intensiv mit dem Thema BA beschäftigt, kommt man über kurz oder lang auch auf das eigene Bindungsverhalten und das seiner Familie. Ich habe bei meiner Familie alle wunden Punkte mit meiner Analyse getroffen und bin auf heftige Gegenwehr gestoßen. Ich solle die Vergangenheit ruhen lassen. Still halten. Aber das war eben unser Familienmuster - schweigen. Ich bin aber meinen Weg weiter gegangen und habe für mich nach Antworten gesucht. Die anderen müssen jetzt auf meine Veränderung reagieren oder aber ich wende mich verstärkt ab - weil ich dieses Muster nicht mehr leben will. Ich muss mit gutem Beispiel vorangehen, dass Vergangenheitsbewältigung - trotz Schmerzen - was positives bringen kann.


    Die Leute müssen eigenen Leidensdruck entwickeln, sie müssen selbst auf ihre Themen stoßen. Ich hatte ja die Hoffnung, dass ich sie mitziehen kann - war aber nicht so. Man kann nur bei sich selbst mit Veränderung anfangen.


    Man selbst sieht seine Mitmenschen aber plötzlich mit ganz anderen Augen und kann auch ganz anders auf sie reagieren.

    "Vergiss nicht, der Zaun, mit dem du dich vor anderen schützen willst, umschließt auch dich"

  • Zitat von Ratsuchend

    Die Leute müssen eigenen Leidensdruck entwickeln, sie müssen selbst auf ihre Themen stoßen. Ich hatte ja die Hoffnung, dass ich sie mitziehen kann - war aber nicht so. Man kann nur bei sich selbst mit Veränderung anfangen.


    Man selbst sieht seine Mitmenschen aber plötzlich mit ganz anderen Augen und kann auch ganz anders auf sie reagieren.


    Sehe ich genauso! Oft schmerzt es mich halt zu sehen, wie auch andere orientierungslos in ihrem Leben rumstolpern, keine Ahnung haben, was schief läuft, und einfach hoffen... ich weiss auch noch nicht, ob ich die Sache mittels Therapie wirklich in den Griff kriege. Aber immerhin weiss ich, wo es hakt und was die Ursachen sein könnten.


    Gerade bei der Familie bin ich sehr vorsichtig. Bei intensiverem Nachdenken über die Vergangenheit habe ich auch unschöne Sachen wieder in mein Gedächtnis geholt. Erinnerungen, Vorfälle, die schmerz(t)en. Andererseits weiss ich ja, dass meine Eltern alles so gut gemacht haben, wie sie konnten, auch wenn ich gewisse Dinge nach meinen neusten Erkenntnissen bei meinen eigenen Kindern anders machen möchte. Zudem ist mein Verhältnis zu meinen Eltern heute sehr gut. Ich hätte Angst, dies aufs Spiel zu setzen.


    Nachdenklich,
    Citrus

  • Zitat von Citrus

    Gerade bei der Familie bin ich sehr vorsichtig. Bei intensiverem Nachdenken über die Vergangenheit habe ich auch unschöne Sachen wieder in mein Gedächtnis geholt. Erinnerungen, Vorfälle, die schmerz(t)en. Andererseits weiss ich ja, dass meine Eltern alles so gut gemacht haben, wie sie konnten, auch wenn ich gewisse Dinge nach meinen neusten Erkenntnissen bei meinen eigenen Kindern anders machen möchte. Zudem ist mein Verhältnis zu meinen Eltern heute sehr gut. Ich hätte Angst, dies aufs Spiel zu setzen.


    Um die alten Lebensthemen wirklich abschließen zu können, muss man den alten Schmerz noch einmal hoch holen und noch einmal spüren - um ihn zu verstehen und dann loslassen zu können. Ich habe ganz tief in mir gewühlt und habe dann die Antworten erhalten, nach denen ich so lange gesucht habe. Es waren meistens keine schöne Antworten, aber ich hatte endlich Klarheit. Vieles ist umständehalber geschehen und nicht aus böser Absicht. Heute kann ich das alles gut einordnen, eben auch aufgrund der erhaltenen Antworten und eigenen Recherchen. Dann konnte ich akzeptieren und verzeihen und abschließen.


    Man kann Familienmuster nur ändern, indem man das Muster durchbricht und ändert - insofern kannst du mit deiner Erziehung diesen Schnitt vollziehen.


    Wahrscheinlich will keiner hören "du hast ein Problem". Vielleicht ist es aber hilfreich, wenn man selbst schon etwas für sich getan hat und davon berichten kann. Oder das Thema dezent verpackt angeht.
    Einem Alkoholiker kann man noch so viel zureden, erst wenn er am Boden liegt wird er sich Hilfe aus eigenem Antrieb suchen.

    "Vergiss nicht, der Zaun, mit dem du dich vor anderen schützen willst, umschließt auch dich"

  • Hallo zusammen,


    ich denke das ist sehr individuell. Vor ca. 2 Jahren war ich für knapp drei Monate in der Tagesklinik, da ich in die Burn-Out Falle gelaufen war. Ursachen dafür lagen, wie so oft, eben auch in der Kindheit. Bei mir war es fehlendes Lob und Anerkennung. Außerdem hatte ich vor dieser Arbeitsstelle gerade eine Trennung hinter mir. Habe mich dann anstatt zu verarbeiten in die Arbeit gestürzt und verdrängt. Hinzu kam, dass ich einen neuen Chef hatte der so anders war als meine vorherigen, d.h. es gab Lob und Anerkennung und irgendwie bin ich halt danach süchtig geworden und habe versucht immer mehr zu leisten um ja neuen Lob und neue Anerkennung zu bekommen. So viel zum Hintergrund.


    Vor der Tagesklinik hätte ich mit meiner Mutter nicht über Themen der Kindheit sprechen können. Sie wurde aber auch zu drei (gemeinsamen) Terminen in die Klinik geladen. Seitdem klappt es ganz gut. Ich glaube es ist wichtig, wenn man mit der Familie redet nicht anklagend zu sein. Bei meiner Mutter ist es zwar so, dass sie eben die "Schuld" an meinem heutigen Verhalten und/oder meinen Problemen trägt, es sagt aber keiner das sie das absichtlich gemacht hat. Wie ich heute weiß, hatte sie eben auch keine leichte Kindheit. Weiterhin ist für mich aber wichtig, wenn ich sie nach Dingen fragen kann, da bekanntlich die Erinnerung an die Lebensjahre 0-3 fehlt.


    Ratsuchend schreibt es absolut richtig. Man kann die anderen nicht ändern, man muss bei sich selbst anfangen. Im Idealfall ziehen die anderen mit. Ich habe meine Freundin auf das Thema Bindungsangst gebracht, nachdem ich einen typischen Abschiedsbrief erhalten hatte. Irgendwie habe ich dann aber die richtigen Knöpfe gedrückt, so dass sie ebenfalls angefangen hat in "Jein!" zu lesen.


    Beim normalen Freundeskreis ist es glaube ich auch abhängig, wie viel Einfühlungsvermögen jemand besitzt. Ich habe einen Freund, der kennt auch alle Briefe die ich seit dem Abschiedsbrief meiner Freundin, mit ihr getauscht habe. Mir hilft es hier, wenn jemand ohne BA/VA mal seine Meinung äußert. Vorher hatte ich den Versuch unternommen mit einem anderen Freund darüber zu reden. Da kam nur so etwas wie: "Wie jetzt? Ihr müsst doch wissen, ob Ihr was füreinander empfindet oder nicht." Hier habe ich dann gar nicht weiter versucht mich oder unser Verhalten zu erklären. Wie gesagt, einen pauschalen Rat kann man da glaube ich nicht geben.


    LG Martin