Bindungsangst ausgelöst durch Einzelereignis?

  • Bindungsangst wird nicht durch ein Einzelereignis ausgelöst.


    1. Die Form von BA, von der hier normalerweise die Rede ist, entstand bereits im Kleinkindalter durch verschiedene Faktoren wie z.B. wenn die wesentliche Bezugsperson selbst bindungsgestört und unempathisch war und damit die Bedürfnisse des Kleinkindes nicht adäquat erkennen und erfüllen konnte. Damit kann sich z.B. der Selbstwert und das Gefühl der Selbstwirksamkeit nicht oder nur wenig entwickeln, ebenso kann sich die Empathiefähigkeit nicht normal entfalten. Da die Empathie der Bezugsperson jedoch für ein Baby überlebenssichernd wäre, diese aber nicht ausreichend vorhanden ist, entsteht Angst beim Baby/Kleinkind. :frucht:
    Wird diese zu groß, dann kann der Gefühlsbereich sogar total ausgeblendet werden.


    2. Es gibt zwar die Möglichkeit, dass ein Erwachsener eine Beziehungsangst entwickelt durch eine sehr schlimme Partner-Beziehungserfahrung, aber auch diese ist ja kein "Einzelereignis" sondern ging über einige Zeit. Zudem ist auch auf die eigene Stabilität/Persönlichkeitsstruktur zu berücksichtigen. Diese Beziehungsangst ist gut therapierbar ... im Unterschied zu der oben beschriebenen BA, die sich ja nicht nur auf Partnerbeziehungen auswirkt.


    Das ist nun eine kurze und natürlich nicht vollständige Beschreibung von BA, aber ich wollte aufzeigen, dass es sich in keinem Fall um ein Einzelereignis handelt.


    Judith

  • Guten Morgen,
    wow, ist ja interessant! So genau habe ich noch nicht darüber nachgedacht, auch nicht über die Gründe, ich kannte nur immer die Auswirkungen und fühlte, das die Gefühle weg sind :)
    Nochmals in in Bezug auf die Gefühle abstellen: ich kann nur bestätigen, dass auch ich die Gefühle vermeintlich wie ein Schalter ausschalten kann (und Klack sind sie weg). In Situationen in denen ich körperlich da bin, bin ich dennoch emotional abwesend. Dh es kommt ursächlich keine emotionale Bindung zu meinem Gegenüber zustande, da das letzte Quentchen Vertrauen fehlt für eine emotionale Bindung und somit kann ich den Schalter jederzeit sofort umlegen (die Bindung fehlt ja). Die Person die mich mag und die ich eigentlich auch mag, kann mir nie wirklich nahe sein. Sie läuft einem Eisberg hinterher und merkt ggf, dass ich bei anderen (oberflächlich) zugewandter bin und sie nie wirklich bei mir ankommt. Bei leichteren Fällen von BA kommt man ggf ja noch an die Person ran, aber diese emotionale Bindung/Öffnung ist der Angstfaktor hoch 10.
    Den Schalter kann ich auch bei meinen Eltern umlegen - wer bist und was willst du?
    Ein Beziehungsgedächnis existiert entsprechend auch nicht, es ist eine ständige neue Annäherung (und somit eine Aufrechterhaltung des Gefühls der Schmetterlinge im Bauch bei Liebespartnern). Ich kann eine Person am ausgestreckten Arm verhungern lassen, es besteht keine Verbindung (was mir auch immer leid tut, aber es ist so). Dies habe ich bei meinen extrem übergriffigen, narzisstischen Großeltern als Erwachsene angewendet um mich abzugrenzen - sie hätten wohl nie gedacht, dass ich ihre Aussage (mit der sie eigentlich drohen wollten und mich in Schach halten wollten - "wenn du jetzt gehst, gehst du für immer") bis nach ihrem Tod durchhalte. Damit halte ich jetzt auch meine ständig kritisierenden übergriffigen Eltern in Schach, sie wissen - ich kann den Schalter umlegen und dann gibt es kein zurück. Ja, ich drohe, aber "Bitte, Bitte" hilft bei ihnen nicht - ich werde nicht ernst genommen.
    Grundsätzlich ist es nicht mein Ziel bei normalen Menschen diese Mauer aufrecht zu erhalten, es ist aber ein steiniger Weg zu mehr Vertrauen.
    Dieses Vertrauen in emotionale Bindungen fällt mir schwer, auch da Abgrenzung in unserer Familie nicht möglich war. Ich war als Kind immer den anderen ausgeliefert und eine Gegenwehr wurde im Keim erstick und abgetan (sei nicht so bockig, du mit deinem Dickkopf, was habst du dich den so?,...). Nähe wurde durch ständige Streitereien und Kritik im Keim erstickt. Ich glaube, bei mir sind alle in der Familie BAler ohne es zu wissen. Nur bei mir ist es extremst ausgebrochen, ich vermute, dass ich als Kind stark abgelehnt (bin ja kein Junge) und stark emotional/materielle vernachlässigt wurde. Nachfragen hierzu bei meinen Eltern werden im Keim erstickt.
    Nein, also kein Einzelereignis führte bei mir dazu, ein Einzelereignis könnte ggf alte Verhaltensmuster triggern, vermute ich.
    Bei mir kommt es aus dem Familiensystem (inkl. meiner Schwester, die mir auch das Recht am Leben versagte).
    Viele Grüße, Karin

  • Danke Karin für deine Offenheit... das ist sehr interessant, wie ich finde & man merkt dass du sehr reflektiert bist, das meiste aufgearbeitet hast & weißt woher das kommt.


    Zitat

    Nur bei mir ist es extremst ausgebrochen, ich vermute, dass ich als Kind stark abgelehnt (bin ja kein Junge) und stark emotional/materielle vernachlässigt wurde. Nachfragen hierzu bei meinen Eltern werden im Keim erstickt.


    Ich wollte als Kind auch immer ein Junge sein... ich glaube bis heute, dass meine Eltern sich einen Jungen gewünscht haben. Meine Mutter hat mir immer wieder die Haare kurz abgeschnitten, obwohl ich geheult habe. Als ich in die Pubertät kam wurde es noch schlimmer... ich kleidete mich dann in weiten Sachen, Männerkleidung meist.
    Mit meinen Eltern konnte man darüber auch nie reden, ich vermute auch, dass sie das alles nicht bewusst gemacht haben und ihnen das bis heute auch nicht klar ist, warum sie so gehandelt haben...

  • Zitat von podenca


    Ich wollte als Kind auch immer ein Junge sein... ich glaube bis heute, dass meine Eltern sich einen Jungen gewünscht haben. Meine Mutter hat mir immer wieder die Haare kurz abgeschnitten, obwohl ich geheult habe. Als ich in die Pubertät kam wurde es noch schlimmer... ich kleidete mich dann in weiten Sachen, Männerkleidung meist.


    Das war bei mir auch so. Ich wollte immer ein Junge sein, weil ich a) gesehen habe, daß Jungs viel mehr dürfen als Mädchen, und weil b) meine Mutter mir immer wieder unter die Nase gerieben hat, daß andere Mädchen viel besser waren als ich - das hat meine Freundschaften zu Mädchen richtig vergiftet. Dann kam noch hinzu, daß es auch mal hieß, mein Vater würde sich so selten mit mir beschäftigen, weil ich eben kein Junge war - mit einem Jungen hätte er ja Fußball spielen können, aber mit einem Mädchen wüßte er natürlich nichts anzufangen. Mädchen gehörten halt zur Mutter... :kotz:


    Meine Mutter hat mir meine Haare auch immer kurz geschnitten, weil sie damit überfordert war, daß ich heulte, wenn es beim Haarewaschen und Kämmen so ziepte... meine kurze Haare waren praktischer für sie. Heute genieße ich es, lange Haare zu haben, und mein Vorbild sind Frauen, die auch jenseits der 60 noch lange Haare haben... :-D

  • Zitat von Sukramine

    anpassen, zurückstecken, immer lieb und nett sein, sich unterordnen usw.


    ...jetzt teil ich auch mal aus: ist das nicht genau das, was Du gerade mit Deinem BÄler machst?! :bomb:


  • "Richtig" und "falsch" sind ja vielleicht nicht ganz die richtigen Kategorien, meine ich.


    Ich glaube, ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen unseren Geschichten ist, daß mein BÄler nach 2-3 sehr vielversprechenden Monaten und 2-3 recht quälenden Monaten einfach verschwand. Ich hatte also recht wenig Gelegenheit, eine Beziehung zu halten, da diese noch gar nicht wirklich existierte, dafür gab es einfach viel zu wenig Treffen und Kommunikation. Das beschäftigt mich eigentlich am allermeisten: warum kriegen die Männer immer irgendwann zuviel und laufen einfach weg, obwohl sie mich doch angeblich so toll finden? Diese Hilflosigkeit macht mich fertig.


    Bei Dir scheint es über einen längeren Zeitraum mehr Kommunikation gegeben zu haben, also auch mehr Gelegenheiten, irgendwas mit Grenzen auszuprobieren. Wo diese Grenzen liegen, ist ja allerdings auch individuell sehr verschieden. Ich würde z.B. keine Fluchtpartnergeschichten akzeptieren, da wäre für mich Schluß. Du hast das hingegen offenbar hingenommen - aber wenigstens gesagt, daß Du das nicht gut findest...- so sieht dann Deine Grenzsetzung aus - oder? In anderen postings schreibst Du auch, es wäre wichtig, daß man auf den BÄler eingeht, selbst zurücksteckt usw. - die Balance zu finden zwischen Grenzen setzen und zurückstecken ist bestimmt nicht einfach, auch nicht in normalen, sicheren Beziehungen. Bei BA-Beziehungen ist es nur nochmal sehr viel schwieriger, weil es ja jederzeit aus sein kann. Man setzt ein Grenzchen, und der BÄler fühlt sich sofort total abgelehnt, oder man kommuniziert ein Bedürfnis - das ist eher mein Thema - und der BÄler denkt, daß er das nicht erfüllen kann - und haut ab... für dieses ständige Nervenspiel habe ich wohl keine Kraft mehr.

  • Hui, da gibt es ja noch mehr die Jungen werden sollten :). Mir wurde dies immer ganz offen gesagt, dass ich ein Junge werden sollte - man braucht ja immerhin einen Stammhalter :kotz: . Kurze Haare hatte ich auch als Kind und sah aus wie ein Junge. So als Zwischeneinschub :-D , ihr seid ja schon viel weiter!

  • Zitat

    Meine Mutter hat mir meine Haare auch immer kurz geschnitten, weil sie damit überfordert war, daß ich heulte, wenn es beim Haarewaschen und Kämmen so ziepte... meine kurze Haare waren praktischer für sie. Heute genieße ich es, lange Haare zu haben, und mein Vorbild sind Frauen, die auch jenseits der 60 noch lange Haare haben.


    Ja auch meine Mutter hat genau das als Grund "vorgeschoben" - dass lange Haare ja so UNPRAKTISCH seien, und ich ja keine Zöpfe wollte und deshalb immer alles "verfilzte". Ob das die Wahrheit war? Wohl kaum. Meine Thera sagte mal zu mir, dass sich meine Mutter wahrscheinlich bedroht fühlte durch eine so hübsche/weibliche Tochter & deshalb zur Schere griff.
    Dass sowas seine Spuren auf der Seele hinterlässt ist auf jeden Fall kein Wunder... :neutral: