Hannah Cuppen (2016): Liebe und Bindungsangst

  • Bei diesem Buch handelt es sich offenbar um die niederländische Version der BA-Aufklärungsbücher von Frau Stahl. Das Phänomen "Liefdesbang" wird beschrieben und anhand der Bindungstheorie erklärt, es werden Auswege aufgezeigt. Im Grunde kennen wir das alles schon aus den Büchern von Frau Stahl, etwas Neues gibt es hier nicht. Im direkten Vergleich finde ich die Bücher von Frau Stahl sehr viel klarer und verständlicher, plakativer und gradliniger formuliert. Das Buch von Frau Cuppen wirkt dagegen etwas "schlaff", umständlich und in Teilen verträumt mit Hang zum Esoterischen.


    Interessant finde ich, daß die Autorin, eine Sozialpädagogin und Psychotherapeutin, selbst betroffen war. Sie hat offenbar jahrelang selbst BA-Beziehungen gehabt, in denen sie der verlustängstliche Teil war. Im Buch wirkt sich das so aus, daß der Schwerpunkt hier mehr auf den Verlustängstlern liegt - nicht, wie bei Frau Stahl, auf den aktiven Wegläufern. Obwohl auch Frau Cuppen weiß, daß das lediglich 2 Seiten der selben Medaille sind, trennt sie im Text zwischen der verlust- und der bindungsängstlichen Perspektive. Ich als primäre Verlustängstlerin fühlte mich hier mehrfach direkt angesprochen, wenn etwa erklärt wird, wie man als Kind darauf konditioniert wurde, emotional unerreichbare Menschen lieben zu wollen. Hierin geht Frau Cuppen über Frau Stahl hinaus.


    Das Buch geht auch insofern noch etwas über die Stahl-Bücher hinaus, als daß hier "Familienforschung" betrieben wird, die über die Elterngeneration bis in die Großelterngeneration hineinreicht. Familiale Traumata in der Großelterngeneration, z.B. ausgelöst durch Krieg oder hohe Kindersterblichkeit, werden in ihren Nachwirkungen auf das Bindungsverhalten der aktuellen Generation beschrieben.


    Ich würde nach wie vor als Einsteigerlektüre die Stahl-Bücher vorziehen. Dieses Buch wäre mehr zur Abrundung und Ergänzung des bereits Bekannten zu empfehlen.


    :study:

  • Ich weiß nicht, ob wir das selbe meinen, deshalb möchte ich klarstellen, daß ich mich mit "esoterisch" auf den Stil des Buches beziehe, nicht auf den Inhalt. (Es gibt ja auch Teile der populärwissenschaftlich-psychologischen Literatur, die sich auf diverse Formen von "Spiritualität" stützen, das ist hier nicht der Fall.) Im Vergleich mit den Büchern von Frau Stahl läßt das Buch von Frau Cuppen an Klarheit vermissen.


    Was Du mit "holistisch" bezeichnest, könnte der Ansatz sein, über mehrere Generationen in die Vergangenheit zurückzugehen?


    Dazu möchte ich Lektüre von Sabine Bode empfehlen, die diesen Ansatz meines Wissens nach vor ein paar Jahren mit ihrem Buch über die "Kriegskinder" als erste in die öffentliche Diskussion eingebracht hat:


    http://www.sabine-bode-koeln.de/bücher/kriegsfolgen/


    Wenn ich das richtig verfolgt habe, wird dies auf wissenschaftlicher Ebene inzwischen sogar mit dem Feld der Epigenetik verknüpft diskutiert. Es geht dabei um Veränderungen im Erbgut, die in einem Menschen durch traumatische Erfahrungen ausgelöst werden und die wiederum zum Entstehen von Krankheiten, auch psychischen, führen können.


    Daß dieser intergenerationelle Ansatz einen Gewinn an Erkenntnis bringt, finde ich ganz persönlich sehr gut nachvollziehbar. Als ich das erste Mal davon hörte, ist mir erstmals aufgefallen, daß ich in einer Siedlung großgeworden bin, die für sog. "Kriegerwitwen" zu finanziell besonders günstigen Konditionen errichtet worden war. Mit anderen Worten: da wohnten ausschließlich Familien, in denen die Eltern (inkl. mein Vater) im Kindesalter ihren Vater im Krieg verloren hatten oder die aus den ehemaligen Ostgebieten geflüchtet waren usw. Lauter Menschen mit traumatischen Erfahrungen, die natürlich niemals aufgearbeitet, sondern munter an die folgende Generation durchgereicht wurden. Das war für mich ein weiteres Puzzleteil, um verstehen zu können, wie aus mir die Verlustängstlerin wurde, die ich nun mal bin.


    Die Frage ist nur, wieviel nützt diese zusätzliche Erkenntnis im konkreten Umgang mit dem Problem Bindungsangst? Gerade bei "Verlustängstlern" gehört ja die starke Außenorientierung mit zur Symptomatik, man beschäftigt sich doch viel lieber mit der Psyche von anderen "Problempersonen" als mit der eigenen... Obwohl man als BA-Partner (zumindest, wenn man Wiederholungstäter ist) ebenso vor der Aufgabe steht, eigene Wahrnehmungsmuster zu verändern und hoffentlich auch irgendwann das eigene Handeln.


    Meiner Erfahrung nach kommt die Familienbiographie im therapeutischen Gespräch ohnehin zur Sprache, wenn es um die Auseinandersetzung mit den Eltern geht und man gefragt wird, warum man glaubt, daß die sich so verhalten haben, wie sie es nun mal taten. Der Schwerpunkt der Therapie (90 %) liegt jedoch auf der Auseinandersetzung mit sich selbst im Hier und Jetzt, wobei die biographische Dimension natürlich immer einbezogen wird.


    Insofern empfinde ich die Erwähnung dieser Facette im Buch von Frau Cuppen, das offenbar ebenso wie die Stahl-Bücher für Deutschland als populärwissenschaftliche Einsteigerlektüre gilt, bestenfalls als Ergänzung, die im ungünstigen Fall auch zur Ablenkung (von sich selbst) genutzt werden kann. Wer mit dem akuten Problem "Bindungsangst" konfrontiert ist und in seiner Verzweiflung erstmal nach Erklärungen und vor allem nach einer Handhabe sucht, ist mit den Stahl-Büchern besser beraten. Wer sich mit Familienbiographien, intergenerationeller Weitergabe von Traumata usw. auseinandersetzen mag, wird dazu wiederum spezialisierte, tiefergehende Lektüre finden.

  • Hallo,


    Auf die Empfehlung hin habe ich das Buch von Hanna Kuppen noch einmal angefangen. Das war mein zweiter Anlauf, beim ersten war es mir zu unstrukturiert und zu wenig klar. Jetzt gefällt es mir ziemlich gut.
    Von Stefanie Stahl habe ich nur das erste BA-Buch gelesen, und zwar auf Englisch, weil ich es damals schnell lesen wollte und darum ein E-Buch brauchte, auf Deutsch gibt's nur Papierbücher. Deshalb weiß ich nicht, wie sich Stahl auf Deutsch so liest, die englische Übersetzung hatte eine für Ratgeberliteratur ziemlich pathologisierende Wortwahl, wirkte zwar irgendwie klar, aber nicht sehr freundlich den Lesern gegenüber. Sie war auch einfach schlecht, nicht idiomatisch, deshalb kann ich nicht beurteilen, ob der Übersetzer einfach nur schlecht war, oder ob Stahl auch selbst seltsam geschrieben hat.
    Ich finde das Buch von Hanna Kuppen geht respektvoller mit den Lesern um.
    S. Stahls Herangehensweise wirkt auf mich sehr mechanisch. Sieht man ja schon in manchen ihrer Interviews, wo sie davon spricht, dass man in der Therapie die "Software" "umprogrammieren" müsse. Auf ihrer Webseite steht nicht, welche Ausbildungen sie gemacht hat, aber ihr Ansatz scheint Schematherapeuthisch, da kommt sie bestimmt aus Richtung Verhaltenstherapie.
    Auf der Seite von Hanna Kuppen kann man nachlesen, welche Ausbildungen und Weiterbildungen sie absolviert hat, und einiges davon wirkt auf mich tatsächlich eher esoterisch, und davon bin ich eigentlich kein Freund.
    Wie sich Kuppens Buch liest, wenn es das erste Buch zum Thema ist, dass einem während oder nach einer BA-Beziehung in die Hände fällt, kann ich mir nur schlecht vorstellen. Aber ich muss sagen, dass es meinen Gefühlen nach dem Ende der BA-Beziehung eher gerecht wird als das Stahl-Buch. Die Ba-Beziehung war schwierig, ich denke noch viel darüber nach, ich überlege, was mich in der Beziehung gehalten hat, mich in sie hineingeführt hat, wie sehr meine eigene Biografie, mein Verhältnis zu meinen Eltern usw. damit zu tun hat. Ich habe viel zu Beziehungen im Allgemeinen gelesen oder gehört, um auch aus nicht BA-spezifischen Sachen Puzzleteile zu bekommen, aus denen sich alles zusammenfügen kann. Mir scheint, dass da Verstand und Emotion zusammenwirken, dass das ein Erkenntnis-Prozess ist, dem ich seine Zeit geben muss, und der eben so passiert. Nicht alles, was ich dabei über mich lerne ist schön, aber ich hoffe, meiner Wahrheit dabei irgendwie näher zu kommen.
    Und so liest sich für mich das Buch von Kuppen. Es ist weniger zielstrebig als das Stahl-Buch, es gibt mehr Rau. Das finde ich gerade wertvoll für mich.
    Mit manchen Inhalten kann ich nicht viel anfangen, z.B. der Verlust eines Zwillingsgeschwisters, das träfe auf mich zu, nur ist es mir doch zu esoterisch, dass man sich daran erinnern können soll.


    Während ich zumindest im ersten Stahl-Buch das Gefühl habe, dass es irgendwie schrittweise Anleitungen gibt, wie man die Sache Angehen soll, bekomme ich bei Kuppen Ideen und Gedanken, die sie anhand ihrer eigenen Geschichte veranschaulicht. Ich finde es angenehm, dass da niemand ist, der sagt, "so und so musst Du das machen", sondern der einfach Raum gibt für den eigenen Prozess.

  • Zitat von kowai

    Interessant finde ich, daß die Autorin, eine Sozialpädagogin und Psychotherapeutin, selbst betroffen war. Sie hat offenbar jahrelang selbst BA-Beziehungen gehabt, in denen sie der verlustängstliche Teil war. Im Buch wirkt sich das so aus, daß der Schwerpunkt hier mehr auf den Verlustängstlern liegt - nicht, wie bei Frau Stahl, auf den aktiven Wegläufern. :study:


    Das finde ich immer wieder höchst interessant! Mir betont Frau Stahl viel zu sehr, dass sie mit dem BA Thema persönlich nichts zu tun hat. Dabei ist ihr Buch Jein! mE ein Therapieversuch der Autorin selbst, die wahrscheinlich mehrfach an BA Partner geraten ist. da fast alle Therapeuten selber etwas mit dem Thema Co-Abhängigkeit zu tun haben, liegt diese Vermutung nahe.

    Lass dir von Menschen mit zu kleinem Horizont nicht erzählen, dass deine Träume zu groß sind.

  • Zitat von Sukramine

    Danke für die Buchvorstellung.


    Ich habe es gerade in einem Rutsch durch. In meinen Augen geht es weit über S.Stahls Bücher hinaus. Für "Anfänger", die erstmal die Grundlagen verstehen möchten, sind Stahls Bücher vermutlich empfehlenswerter, weil sie einfacher und klarer strukturiert sind.
    Dieses Buch jedoch hat noch mal eine neue, weit über Stahl hinausgehende Ebene, die weitaus holistischer und damit auch um ein vielfaches wirkungsvoller ist (das mag man natürlich auch als esoterisch empfinden, ich hingegen glaube, dass es der Anfang einer neuen Art "Psychologie" ist, die sich in den nächsten Jahren immer weiter etablieren wird).
    Sehr schön, dass es so was inzwischen auch zu diesem Thema gibt. :flower:


    Ich fand das Buch großartig! Viel besser als die Stahl Bücher .... empfehlenswert


    Man kann sich einfinden, bekommt Tipps etc...


    Ich schließe mich Sukramine`s Meinung an :)