Bindungsangst Folge unserer schnelllebigen Gesellschaft

  • Hallo,
    ich mache mir seit meiner letzten Beziehung mit einer Beziehungsphobikerin oft Gedanken über den massiven Anstieg dieser Angststörung.
    Ich persönlich vermute, dass ein ähnlicher Anstieg von Egoismus in unserer Gesellschaft auch damit in Zusammenhang gebracht werden könnte. Auch die Möglichkeit einen Partner schnell zB über ein Datingportal auszutauschen, könnte ebenfalls in Zusammenhang gebracht werden. Ich lasse jetzt einfach mal die BAler, deren Angststörung Wurzeln in der Kindheit hat, aussen vor.
    Egoismus hat zur Folge, dass ein Partner so gut wie überhaupt nicht zu Kompromissen bereit ist. Das schafft ein Egoist nur in der Phase der ersten Verliebtheit. Es fällt ihm aber mit jedem Tag schwerer. Mit jedem Tag merkt er, dass es doch Punkte gibt, die vielleicht nicht 100% passen. Die Schmetterlinge im Bauch fliegen auch nicht mehr so wie am Anfang. Normalerweise kann man so einen Partner trotzdem akzeptieren, denn irgendwas passt eigentlich immer nicht. Wenn die Gefühle aber stark genug sind und beide aufeinander zugehen kann das trotzdem funktionieren. Hier lasse ich Untreue, Gewalt usw auch einmal außen vor. Wenn jetzt durch die Möglichkeit unserer heutigen Medienwelt ein Partner schnell austauschbar ist, kommen als egoistische Natur natürlich um so schneller Gedanken, den Partner auszutauschen. Gleichzeitig steigt aber auch die Trauer, dass es leider mit dem letzten Partner nicht funktioniert hat, weil eigentlich doch eine Liebe entstanden ist, die aber nicht so offensichtlich wie die erste Verliebtheit zu spüren ist. Aber mit einem neuen Partner kommen ja auch die tollen Schmetterlinge wieder. Jeder Mensch hat meiner Meinung nach einen tief verwurzelten Wunsch nach Verbundenheit. Diese kann natürlich auf diese Art und Weise niemals entstehen, weil man dieser Verbundenheit, die erst im Laufe einer längeren Beziehung mit tiefer Liebe entsteht, überhaupt keine Chance lässt. Zurück bleibt ein tief enttäuschter Partner, der evtl. vorher ganz normal in die Beziehung gegangen ist. Die Gefahr, dass dann dieser Partner ähnliche Verhaltensweisen in Zukunft an der Tag legt sind sehr groß.Liebe hat kaum noch eine Chance, weil die Liebe mit Verliebtheit verwechselt wird. Somit reiht sich eine gescheiterte Beziehung an die nächste und mit jeder steigt die Verdrossenheit, Kompromissbereitschaft und Toleranz verringern sich. Der verlassene Partner gerät jetzt auch in diese Mühlen und wird sich ebenfalls in der nächsten Beziehung auf gewisse Art und Weise schützen. Die Angst steigert sich und erzeugt unbewusst neurale Verbindungen in unserem Gehirn als Schutzfunktion. Daher befürchte ich, dass der Anteil von beziehungsunfähigen Menschen exponentiell steigen wird. Besonders auffällig ist das bereits bei unserer Jugend. Ich habe 3 Kinder, bei denen ähnliche Verhaltesformen auch schon vorhanden sind und kenne dies auch von den Kindern von Freunden. In deren Alter wurde ich bereits das erste Mal Vater. Man kann es auch an dem Geburtenrückgang feststellen. Wenn wir nicht viele Zuwanderer hätten, wäre der Geburtenrückgang noch auffälliger. Vielleicht ist dies ja auch das Ende der Menscheit :) . Ich hoffe damit einmal eine nette und faire Diskussion anzuregen und betone ausdrücklich, dass ich hier niemanden "auf die Füsse treten" will, und schon überhaupt niemanden, dessen Angststörung andere psychische Ursachen hat.
    Grüße
    Peter

    Der Mensch, der den Berg versetzte, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen.

  • So sehe ich es auch.

    Um in der Welt etwas zu bewirken, bedarf es liebevoller Emotionen, nicht kaltherziges Denken!


    Wenn du mein Licht erst kennst, dann weißt Du, wie hell dein Tag sein kann und wie hinreißend die Freude die Du, durch mich erfährst.

  • Ich bin mir nicht sicher ob es wirklich einen Anstieg dieser Störung gibt, oder ob es so scheint, weil das Kind einen Namen bekam.


    Die Ursachen und ersten Diagnosen in diese Richtung machte meines Erachtens nach Freud.
    Und der ist ja nun schon fast zusammen mit den Dinosauriern auf diesem Planeten gewesen. Ich denke dass BA etwas ist, das man sehr gut vertuschen kann. Etwas, das nicht auffallen muss. Und etwas, das vielleicht erst verhältnismäßig kurz so benannt wird.
    Früher hatten die Menschen aber viel viel weniger die Wahl alleinstehend zu bleiben. Bis vor „kurzem“ haben Singles ja nicht einmal vernünftig Mietwohnungen bekommen und Frauen waren nicht erbberechtigt usw
    Die Abhängigkeit war viiiiel größer. Da konnte sich nicht so leicht getrennt werden.
    Die Gesellschaft heute macht das ja erst möglich. (Gott sei dank!!).


    Komische Singles mit possierlichen Ausreden hat’s denke ich immer schon gegeben.
    Ich musste eben spontan an einen denken, der hier aber den Rahmen sprängen würde. Der war in jeder Hinsicht ein Psychopath. Aber auch geprägt von Demütigungen und dann ... nie richtig gebunden.

    I can buy myself flowers

    Write my name in the sand

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    Say things you don't understand

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    And I can hold my own hand

    Yeah, I can love me better than you can

  • Um noch kurz was zum eigentlichen Thema zu sagen:
    Mir sind keine Statistiken über Bindungsangst bekannt, deshalb weiß ich nicht, ob sie tatsächlich zugenommen hat. Vielleicht hat sie auch abgenommen, weil der Umgang mit Kindern zumindest bei uns immer freundlicher wurde, und Bindungsstörungen ja oft aus Erlebnissen als Kind resultieren.
    Ich nehme an, dass sich die Funktionsweise der menschlichen Psyche nicht drastisch verändert haben wird, deshalb glaube ich, dass es Bindungsangst auch früher schon gegeben haben wird. Nur konnte man sie da besser verstecken, sie zeigte sich anders, weil die Beziehungspartner aufgrund der Benachteiligung von Frauen keine Beziehungen auf Augenhöhe versucht haben zu führen, oder jedenfalls war das nicht die Regel. Heute sind die emotionalen Anforderungen und die Erwartungen an Beziehungen höher, da wird sie dann sichtbarer.

  • Ich denke auch, die Störung muss früher sogar verbreiteter gewesen sein, aber sie war mit Sicherheit weniger sichtbar, auch wegen gesellschaftlicher Zwänge verheiratet zu sein und zu bleiben und der fehlenden Freiheit zu gehen wenn man nicht gut behandelt wird.


    In meiner Familie sieht man klar dass es Auswirkungen des Krieges sind, die sich von Generation zu Generation weitergegeben werden, auch wenn sie sich abschwächen. Krieg ist in meinen Augen aus vielen Gründen unbedingt zu vermeiden, weil die Traumata eben so lange noch fortgesetzt werden.


    Meine schwer traumatisierte Oma, die das alles bis zum Schluß nie bewältigen konnte, auch wenn sie top funktioniert und viel gegeben hat, hatte vier Kinder, die in Folge der schwierigen Umstände alle zwar fast alle irgendwie überlebt haben (eins ist inzwischen an der mißglückten Bewältigung verstorben), aber jeder hat seinen Schaden merklich davongetragen. Die Jüngeren etwas mehr oder nur sichtbarer als die Älteren. Die drei Enkelkinder sind auch sichtbar davon geprägt und ich weiß, dass auch unsere Kinder noch etwas davon mitbekommen werden, bei meiner Tochter sehe ich das schon sehr deutlich, auch wenn jede Generation sich bemüht hat alles besser zu machen.

  • Zitat von Anonymus

    In meiner Familie sieht man klar dass es Auswirkungen des Krieges sind, die sich von Generation zu Generation weitergegeben werden, auch wenn sie sich abschwächen. Krieg ist in meinen Augen aus vielen Gründen unbedingt zu vermeiden, weil die Traumata eben so lange noch fortgesetzt werden.


    Ja, genau so sehe ich das auch, Krieg ist sicher ein ganz wichtiger Faktor beim Entstehen dieser Problematik, weil er alle Sicherheiten zerstören kann, und Menschen dann nur noch mit Überleben beschäftigt sind. Und wir hatten Glück, dass wir jetzt schon 73 Jahre frieden hatten, um es Schritt für Schritt, Generation für Generation, ein bisschen besser zu machen.

  • ......wenn wir es dann auch wirklich besser machen würden! Furchtbar wie schon wieder so ein Rechtsruck durch die Bevölkerung geht. Aber das gehört hier nicht hin

    Der Mensch, der den Berg versetzte, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen.

  • @Sun


    Freud hat den Begriff nicht benutzt. Wie ich oben geschrieben habe, entstand diese „Diagnose“ ja viel viel später. Ich weiß nicht wann, aber das Wort Bindungsangst ist mir in der Gesellschaft selber erst vor wenigen Jahren aufgefallen. Sicherlich gab es das vorher schon, aber ich finde im letzten Jahrzehnt hörte man es (oder ich es) irgendwie langsam vermehrt. Jetzt ist das Wort Schönau geläufig, dass ich in meinem Umfeld kaum jemanden erklären muss was das (grob) ist.
    Details mal außen vor.


    Was ich viel mehr meinte ist, dass Freud an der Quelle „geforscht“ hat. Forschen ist der falsche Ausdruck, mir fällt aber kein besserer ein. Die Begriffe von damals sind ja lange überholt, aber viele von seinen Theorien waren eben absolut nicht verkehrt. Und sein Haupt Fokus lag ja auf der Beziehung zwischen Kind und Eltern. Die größte Ursache für Binungsängste. Oder sagen wir, die wahrscheinlich verbreitetste.
    Weil das so herrlich passt, halte ich ja bis heute die Psychoanalyse (die ja auf Freud basiert) für die geeignetste Therapie bei der Problematik. Auch wenn da der Knackpunkt wieder ist, dass die meisten BAs da das Kreischen bekommen und weg laufen. Würden sie bleiben, wäre Das in meinen Augen die aller aller beste Chance detailliert an sich selber heran zu kommen.

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  • Meine Therapeutin hat die Tage auch gesagt, das Bindungsmuster würde früh geprägt werden und sei danach nur schwer zu ändern. Und ich denke mir nur noch: Was ist das eigentlich für ein Unfug? Ich meine, da sind Menschen lernfähig und man kann im hohen Alter noch ne Sprache und ein Instrument und Handstand lernen, aber das Bindungssystem ist so gut wie nicht lernfähig oder wie? Das ist doch bescheuert. Überall ist die Option zu lernen und unnützes zu vergessen ein Vorteil, mal so evolutionär betrachtet. Und da funktioniert es mal nicht oder wie? Wo es doch um die Basis (Gemeinschaft, Fortpflanzung) geht? Wieso kann man denn da nur so schwer lernen?


    Und wieso kommen da sinnlose Ängste aus Vorzeiten, in denen man nicht mal sprechen konnte und keine Erinnerung hat und versauen einem den Tag und machen einem das Leben schwer? Und dann dieser Wiederholungszwang, der ja scheinbar ein Lernversuch ist, aber null funktioniert. Es wäre doch viel vorteilhafter, wenn man ungünstige Muster leichter ändern könnte. Es kommt mir vor als wären irgendwie alle mit der Bindungstheorie auf dem Holzweg, kann doch nicht sein, dass das so schwer ist, obwohl man mit aller Kraft daran arbeitet? Am Ende finden die in 50 Jahren heraus, dass wir einfach mit dem Kopf gegen die falsche Wand gerannt sind und die ganzen Therapieangebote und Selbsthilfedinger einfach so dermaßen in die falsche Richtung zielen, so wie man mal dachte dass Spinat viel Eisen enthält und nun weiß man, es ist Quatsch. Und irgendwann lachen die über unsere graue Vorzeit und wundern sich, wie wir so eifrig Energie in was gesteckt haben, was so offensichtlich nicht viel gebracht hat.


    Und man ist voll beeinträchtigt, ich meine man muss sich mal durch den Kopf gehen lassen was hier im Forum durchgemacht wird. Inzwischen kann ich nur noch den Kopf über die ganze Scheisse schütteln, die mich ja selbst enorm betrifft, aber es kommt mir immer bekloppter vor, je länger ich versuche dagegen anzugehen.