Abschrecken oder Mut machen

  • Hallo ihr Lieben,

    ich bin schon länger „Mitleserin“ und zutiefst dankbar für die vielen hilfreichen Beiträge und das Gefühl, mit meinen Problemen nicht alleine zu sein.

    Wie viele von uns habe ich oft gehofft, eine wirkliche „Erfolgsgeschichte“ zu lesen - also dass eine Beziehung trotz BA irgendwann funktionieren kann. Deshalb schreibe ich meine Geschichte auf. Ich möchte weder Abschrecken noch Hoffnung machen, sondern einfach nur erzählen.


    Es sind VIELE Zeilen weil ich über viele Jahre schreibe. Ich musste den Text sogar teilen weil er einfach zu lang ist.Bitte nehmt mir das nicht übel, ich wusste einfach nicht, was ich da kürzen sollte.


    Für meine Geschichte muss ich etwas weiter ausholen. Ich lernte meinen Partner 2006 in einer Singlebörse kennen. Ich war dort damals unterwegs, um mein angeschlagenes Selbstwertgefühl nach dem Ende einer langjährigen Beziehung „aufzupeppen“, das muss ich leider gestehen. An feste Beziehung habe ich jedenfalls (noch) nicht gedacht.

    Wir haben uns relativ schnell „auf einen Kaffee“ getroffen, und anfangs gefiel er mir überhaupt nicht. Ich fand ihn „spießig“ und er passte nicht im geringsten in mein Beuteschema. Warum ich mich überhaupt auf ein zweites Treffen eingelassen habe weiß ich nicht. Nur, dass bei diesem Treffen irgendetwas ausgelöst wurde. Ich hatte das Gefühl, da ist irgendein „chemischer“ Prozess in Gang gesetzt worden, so wie „die Chemie stimmte total“. Das mag albern klingen, aber so habe ich es empfunden.. Jedenfalls war ich plötzlich „hin und weg“ und die erste, wunderschöne Phase einer solchen Beziehung begann. Er war der absolute Traumpartner und wir haben sehr viel geredet, er sprach offen über Gefühle und auch depressive Phasen, die er hatte. Etwas befremdlich war, dass er es unglaublich eilig hatte. Nach 5 Monaten Fernbeziehung ( er wohnt ca. 1,5 Stunden entfernt) schleppte er mich bereits zu einem Architekten um ein Haus zu bauen -für 8 (!) Personen ( er hat 3 Kinder, ich ebenfalls). Aber ich war viel zu euphorisch, um irgendwelche „Vernunftsgedanken“ zuzulassen.

    Als der Entwurf des Architekten unterschriftsreif war meldete er sich plötzlich und ohne Vorwarnung nicht mehr . Ich war am Boden zerstört und verstand gar nichts mehr - damals hatte ich von BA noch nie etwas gehört.

    Nach ein paar Tagen absoluter Funkstille meldete er sich wieder. „Er hätte sich selbst überfordert, das ging einfach zu schnell etc.“ Das konnte ich gut nachvollziehen, nicht aber die Tatsache, dass er einfach ein paar Tage aus meinem Leben verschwunden war. Trotzdem habe ich ihm verziehen - aber erste Ängste entstanden


    Von dieser Zeit an begann eine 12(!) jährige On-Off Beziehung. Nach einer Weile wurde ich durch seine spontanen Rückzüge ohne jegliche Kommunikation selbst

    depressiv, fühlte mich bewegungslos, konnte sogar ein paar Tage nicht arbeiten gehen. Daraufhin raffte ich mich auf und begann eine Therapie mit dem Ziel, meine Ansprüche zu erden. Denn so war es : ich dachte, ich hätte zu hohe Ansprüche und Wünsche an eine Beziehung,

    ICH bin irgendwie falsch. Das war meine Überzeugung und das zeigt bereits, welche Probleme ich selbst hatte.

    In der Therapie erfuhr ich erstmals von BA und befasste mich mit dem Thema „narzisstische Anteile“ eines Menschen. Das war zuerst wie eine Erlösung für mich. Meine Bedürfnisse waren nicht „falsch“, ich hatte nur nicht den richtigen Partner gewählt. Aber in der Beziehung half es mir nicht wirklich weiter. Ich war inzwischen in eine Art Abhängigkeit geraten. Ich nannte es „Liebe“, aber inzwischen denke ich, dass es zu diesem Zeitpunkt mehr mein Altruismus und der Ehrgeiz, ihn zu „bekehren“ ,waren, die mich an ihm festhalten ließen.

    Es war immer das Gleiche - viele von euch kennen das vermutlich: eine Weile geht es gut, man versucht, nicht mehr soviel persönlich zu nehmen,die Krankheit zu verstehen, die Rückzüge zu tolerieren - genauso wie die Tatsache, dass ich in seinem Lebensumfeld „nichts zu suchen“ hatte.12 Jahre lang habe ich weder seine Familie noch Bekannte, Arbeitskollegen o.ä. kennengelernt. Irgendwann war der Druck durch die Verlustangst (ich weiß nicht, ob ich VA war, aber mag sein - allerdings war es in den Beziehungen vorher nie ein Problem) den Frust und die Wut so groß, dass ich geradezu „explodiert“ bin. Ich schmiss die Beziehung „ein für alle Male“ hin, wollte nichts mehr von ihm wissen, bis nach ein paar Tagen der Schmerz einsetzte und ich mir vorwarf, völlig überreagiert zu haben.

    Allerdings war es dann immer so, dass mein Freund sich wieder gemeldet und um Fortsetzung der Beziehung gebeten hat. Zeitweise konnte er auch äußern, dass er Probleme hat. Er war sich bewusst, dass etwas mit ihm „nicht stimmte“. Ich hätte ihm gerne geholfen- aber ich war noch lange nicht so weit, auch nur annähernd mit der Erkrankung umzugehen.


    Nach 3 Jahren ging er zum ersten Mal wegen seiner Problematik in eine Klinik. Hauptsächlich wegen seiner depressiven Phasen - aber dass da ein Zusammenhang mit seinen Rückzügen bestand konnte er selbst erkennen.

    Das machte mir viel Hoffnung , auch wenn das erstmal irgendwie nur halbherzig war ((er hat mal geradezu stolz gesagt, dass ihn da niemand „knacken“ konnte).
    Nach dem Klinikaufenthalt wurde es eine Zeit lang ein bisschen besser. aber der „Alltag“ holte uns schnell wieder ein.


    Was wir uns all die Jahre angetan haben ist unbeschreiblich . Und ich bin mir bewusst, dass ich einen großen Anteil an dieser Dynamik hatte.

    Ich muss dazu sagen, dass mein Freund mich nie betrogen hat. Belogen ja, aus Not heraus, um Rückzüge abzumildern. Aber es war nie eine andere Frau im Spiel. Das hat immer wieder meine Hoffnung geschürt, genauso wie die Tatsache, dass er mich nicht hat gehen lassen. Es war keine Beziehung, wie ich sie mir gewünscht habe, eher eine gegenseitige Abhängigkeit.

    Irgendwie haben wir uns im Laufe der Jahre geradezu an die „on und offs“ gewöhnt. Ich wusste beim „Schluss machen“ immer , dass er sich wieder meldet - und für ihn war es klar, dass ich zurückkomme. Das war tatsächlich eine Art Sicherheit, Verlässlichkeit. Wenn auch total destruktiv. Versteht ihr, was ich meine? Irgendwann hat mich auch mein Umfeld mit meinem wiederkehrenden Liebeskummer nicht mehr Ernst genommen. Ich habe aufgehört, mit jemandem darüber zu sprechen, ich wollte niemandem auf die Nerven gehen. Niemand konnte verstehen, warum ich mein Leben so „wegwerfe“.

  • Pepi63

    Hat den Titel des Themas von „Abschrecken oder Mut machen 1“ zu „Abschrecken oder Mut machen“ geändert.
  • Das hat meinen inneren Druck und meine Verzweiflung über die Ausweglosigkeit meiner Lage (denn so habe ich es empfunden) ständig größer gemacht.

    Vor 2 Jahren habe ich mich dann entschieden, nochmals eine Therapie zu beginnen. Ich hatte eine gute Therapeutin und war vielleicht inzwischen „reif“ genug, ernsthaft an mir zu arbeiten. Nach und nach trat eine Veränderung bei mir ein.Ich wurde ruhiger, habe die Situation gelassener ertragen können und festgestellt , dass da trotz allem noch der Wille und sogar ein bisschen Kraft war, um noch einmal einen Versuch zu starten, die Beziehung zu verändern - oder bei Scheitern endlich die Konsequenzen zu ziehen.

    Ich habe nicht mehr alles sofort hingeschmissen. Ganz ganz hart an meiner Geduld gearbeitet (einer meiner Charakterzüge ist definitiv Ungeduld).

    Das hatte auch Auswirkungen auf ihn. Wir sind uns wieder näher gekommen. Er konnte besser mit mir über seine Gefühle reden. Das war immer noch eine Ausnahme, aber es hat mein Vertrauen gestärkt, auf dem richtigen Weg zu sein.

    Anfang letzen Jahres hat er mich dann gefragt, wie ich dazu stehe wenn er nochmals in eine Klinik geht. Alleine diese Frage hat den Fortschritt gezeigt, den wir gemacht hatten. Er hatte bisher alles ohne Rücksprache alleine entschieden. Natürlich habe ich zugestimmt, ich war glücklich über seinen Wunsch, an sich zu arbeiten und etwas zu verändern. In diesem Moment hat mir nicht einmal mehr der Gedanke Angst gemacht, dass er ja vielleicht auch hätte erkennen können, dass er einfach nicht die Kraft hat zu lernen, wieder Nähe zuzulassen.


    Was soll ich sagen, die Zeit seiner Abwesenheit war für mich die Hölle. Aus 4 wurden erst 6, dann 8 Wochen. In der ersten Zeit durfte er nicht kommunizieren- und zum ersten Mal hat er sich an die Vorgaben der Therapie gehalten. Das war natürlich positiv, aber über 4 Wochen nicht mit ihm sprechen oder wenigstens schreiben zu können war schlimm für mich. Die Angst kroch wieder in mir hoch, aber mit der Hilfe meiner Therapeutin konnte ich sie aushalten. Nach 5 Wochen wurden die Auflagen gelockert, er durfte wieder schreiben und wir haben sogar ein paar Mal telefoniert. Es waren gute Gespräche. Emotional, ehrlich und mit einer Gewissheit, dass wir zusammen gehören. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass er im „wir“ denken konnte, nicht nur im „ich“. Plötzlich habe ich mich nicht mehr völlig einsam gefühlt.

    Nach dem Klinikaufenthalt hat sich dieses Erleben fortgesetzt. Ich will nicht so tun, als wäre alles anders und „eitel Sonnenschein“ gewesen. Es gab immer wieder die Tendenz zum Rückzug, Verhalten, dass ich nicht verstanden habe oder einfach nur „blöd“ fand. Aber es gab endlich auch Auseinandersetzungen. Das kling vielleicht komisch, aber es war ein Riesenschritt für ihn, sich mit mir zu „streiten“. Er hatte genug Vertrauen, das zu tun. Und das hat letztendlich dazu geführt, dass wir miteinander kommunizieren und Kompromisse finden können - ohne Angst, ohne Druck.

    Im Sommer habe ich dann seine Familie kennengelernt. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach 13 Jahren beim 80. Geburtstag seiner Mutter dabei zu sein. „Dazu“ zu gehören.

    Die „offs“ sind verschwunden. Sowohl er als auch ich setzen die Therapie fort. Mit immer größer werdenden Abständen zwischen den Sitzungen. Das gibt Sicherheit, wenn dann doch mal wieder die Zweifel kommen

    Inzwischen fühle ich mich aufgehoben und angekommen. Und er sich offensichtlich auch. Denn gestern hat er mich gefragt, ob ich ihn heiraten möchte.


    Ich glaube, wir haben das Schlimmste überstanden. Das ist keine lebenslange Garantie für eine Beziehung, aber die BA hat unsere Beziehung nicht mehr im Griff. Wir können selbst entscheiden, was wir füreinander sein möchten.


    Kompliment an alle, die diesen Text geschafft haben ;). Ich würde jetzt gerne als Fazit schreiben: seht mal, es geht ja doch! Aber meine Geschichte ist ein Einzelfall, genau wie jede andere. Und es gab eine besondere Konstellation. Wir hatten beide schon Kinder und das Thema „Familienplanung“ war abgeschlossen. Inzwischen gehen fast alle Kinder eigene Wege und sind alt genug, unsere Geschichte -.Wir sind beide schon älter ( ich war 43, er 44 als wir uns kennengelernt haben) und sind uns sehr klar bewusst, dass das Leben nicht ewig dauert. Ich weiß nicht, was gewesen wäre wenn ich mir noch Kinder oder eine Familie gewünscht hätte. Was passiert wäre wenn wir z.B. in einem Anflug von Euphorie zusammen gezogen wären. Vor allem aber war er von Anfang an in der Lage, zu sehen, dass irgendetwas nicht „stimmig“ ist. Auch wenn es zuerst hauptsächlich wegen der Depressionen war hat er doch sehr schnell erkannt, dass er Hilfe braucht , und diese - wenn auch zögerlich- nach und nach zugelassen.


    Wir sind jetzt im 14. Jahr und das ist eine verdammt lange Zeit ,um meistens unglücklich zu sein. Es war ein langer langer steiniger Weg .


    Mich hat dieser Weg auf jeden Fall

    .verändert. Die Therapie war ein „Segen“ für mich. Ich habe vieles aufgearbeitet und mich mit mir auseinandergesetzt. Das hat mich zu einem gelasseneren, positiveren Menschen gemacht, der sich selbst annehmen kann. Und auch er ist in der Lage, sich seinen Ängsten zu stellen, mit Unterstützung, die er gelernt hat zu schätzen.


    Das klingt vielleicht nach Happy End - für uns ist es das letztendlich wohl auch. Aber vermutlich werden wir ein Leben lang weiter an uns arbeiten müssen. Und ich glaube, wenn ich vorher gewusst hätte ,wie lange dieser schrecklich schmerzhafte Prozess dauern würde hätte ich alles daran gesetzt, rechtzeitig auszusteigen.

    Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden!

    Liebe Grüße

    Petra