Kleiner Gedankengang meinerseits und „Mauern“ von Lotte

  • Ich bin ja so ein kleiner Musikfan. Musik gibt einem so unendlich viel. Gerade dieser Text bedeutet mir sehr viel, weil ich tatsächlich schon auf beiden Seiten gestanden habe. Ich war früher, in meiner Jugend, der Mensch, der sich ganz klar eine Mauer um sich rum aufgebaut hat, niemanden an sich ran gelassen hat. Nun stehe ich auf der Anderen Seite der Mauer. Als die, die versucht, irgendwie da durch zu kommen. Dieser Text hätte 1:1 von mir sein können. Und leider muss ich sagen, so toll dieser Text auch ist, aber so „einfach“ ist es nicht... denn wie soll man zu jemanden vordringen, wenn dieser Mensch einen nicht nur nicht an sich heranlässt, das wäre ja das eine, sondern einen mit voller Kraft von sich stößt, einem zeigt, dass er einen absolut nicht haben will? Was ist dann?

    Und dann sind es doch eben irgendwie die Punkte „Verpiss dich, aber lass mich bloß nicht los!“ und dann?

    Ich kenn das. Ich hatte ne blöde Kindheit. Eltern, denen wir scheissegal waren, Depressionen, Selbstverletzung und noch unschönere Sachen. Auch ich habe mich eingemauert. Extrem. Ich hatte tolle Freunde damals, die sich echt um mich bemüht haben. Aber sie konnten nicht. Weil ich sie weggestoßen habe. Und zeitgleich in mir drin wütend war, dass sie mir nicht helfen. Dass sie keine Chance hatten, begriff ich erst später, als es mir wieder gut ging. Und das tat es erst, als ich so richtig richtig unten lag. Und daraufhin mein Leben selbst in die Hand genommen habe.


    Jetzt stehe ich auf der anderen Seite. Jetzt stehe ich vor der Mauer, die sich ein Bindungsängstlicher Mensch aufgebaut hat und mich nicht an sich ran lässt. Und ich würde so gerne an ihn rankommen. Aber wie soll ich das tun, wenn er mich nicht nur nicht an sich ran lässt, sondern mir in seinen Zeiten der Distanz mit seinem Arschlochverhalten das „Verpiss dich!“ geradezu ins Gesicht klatscht? Was soll man tun, außer zu gehen? Zudem ist man doch auch sonst schnell der „kranke Stalker, der nicht wahrhaben will, dass der Andere nichts von einem möchte“. Wenn es aber in Zeiten, wo keine Distanz herrscht anders ist, dann ist doch irgendwo hinter dem „Verpiss dich!“ doch vielleicht ein Fünkchen „geh nicht“, oder? Und dann?

    Ich stehe jetzt da, wo früher bei mir wohl Andere standen. Und man kann nichts tun, für einen Menschen, den man so gern hat. Das ist furchtbar. Und manchmal denke ich, das ist Karma. Das, was ich vielleicht Anderen damit angetan hab, muss ich nun selbst durchleben. Lieber Karmagott, wenn dem so ist, ich hab es jetzt verstanden.


    Mauern von Lotte


    Wenn du am Boden liegst, leg ich mich daneben

    Und wenn du schweigen willst, dann schweigen wir eben

    Auch wenn es anfängt Steine zu regnen

    Ich bleib bei dir


    Und auch wenn du schon seit Wochen nicht rangehst

    Und mir wieder nur 'ne Ausrede andrehst

    Gefühlt hinter 'ner eiskalten Wand lebst

    Ich bleib bei dir


    Ey, ich weiß, wie du dich fühlst

    Jedes Wort ist dir zu viel


    Du bist gefang'n in deiner Haut

    Hast tausend Mauern aufgebaut

    Ein Labyrinth, du kennst dich aus

    Jeder Weg führt rein und keiner raus


    Du bist Gefangener in dir drin

    Wo du auch bist, ich komm da hin

    Mir egal, wie lang das braucht

    Deine Mauern halten mich nicht auf
    Deine Mauern halten mich nicht auf

    Deine Mauern halten mich nicht auf


    Ich geh den Weg zu dir durch all diese Steine

    Ich kämpf mich durch die Leere, all dieses Schweigen

    Ich leg die Angst und jeden Zweifel beiseite

    Ich komm zu dir


    Denn ich weiß, hinter dieser Einsamkeit

    Ist jemand, den ich liebe seit Tag eins

    Ich mache weiter, bis kein Stein mehr bleibt

    Ich komm zu dir


    Ich weiß, wie du dich fühlst

    Jedes Wort ist dir zu viel


    Du bist gefang'n in deiner Haut

    Hast tausend Mauern aufgebaut

    Ein Labyrinth, du kennst dich aus

    Jeder Weg führt rein und keiner raus


    Du bist Gefangener in dir drin

    Wo du auch bist, ich komm da hin

    Mir egal, wie lang das braucht

    Deine Mauern halten mich nicht auf


    Ich kenn das

    Wenn nach außen alles cool ist, aber in dir tobt ein Flächenbrand

    Ich kenn das

    Wenn du dich so gut verstellst, dass dich keiner mehr verletzen kann

    Und niemand kommt mehr an dich ran, ich kenn das, ja


    Du bist gefang'n in deiner Haut

    Hast tausend Mauern aufgebaut

    Ein Labyrinth, du kennst dich aus

    Jeder Weg führt rein und keiner raus
    Du bist Gefangener in dir drin

    Wo du auch bist, ich komm da hin

    Mir egal, wie lang das braucht

    Deine Mauern halten mich nicht auf
    Deine Mauern halten mich nicht auf

  • Wenn es aber in Zeiten, wo keine Distanz herrscht anders ist, dann ist doch irgendwo hinter dem „Verpiss dich!“ doch vielleicht ein Fünkchen „geh nicht“, oder? Und dann?

    Ich stehe jetzt da, wo früher bei mir wohl Andere standen. Und man kann nichts tun, für einen Menschen, den man so gern hat. Das ist furchtbar. Und manchmal denke ich, das ist Karma. Das, was ich vielleicht Anderen damit angetan hab, muss ich nun selbst durchleben.

    Hallo,


    ich glaube, ich kann dich sehr gut verstehen. Aber ich denke nicht, dass das Karma ist oder sowas wie eine Bestrafung, sondern dass du nun praktisch als 'Lehrer' auftreten darfst bzw. dir die Entwicklungsaufgabe auf dieser Stufe zugemutet wird, wie man nun auf der anderen Seite damit umgeht. Vielleicht auch, um die schon bei dir erfolgte Gesundung (der erste Schritt, das "aus den Mauern rauskommen") abzuschließen? Manchmal erkennne ich selbst bei mir den Fortschritt erst dannn, wenn ich Verhalten bei anderen sehe, was ich früher auch gezeigt hatte.


    Ich hab dann aber auch oft den Impuls, helfen zu wollen und dem anderen auch die Entwicklung 'anschieben' zu wollen, die ich selbst durchgemacht habe. Das ist vermutlich ein Fehler, denn man kann einfach Entwicklung nicht erzwingen. Da man aber glaubt zu wissen, wie sich das anfühlt, die Situation in der der andere steckt, wäre es vielleicht besser, die Situation so akzeptieren und dem anderen dafür nicht noch Vorwürfe machen. Aber ich sehe auch nicht wirklich eine Lösungsmöglichkeit. Man hätte bei mir damals vermutlich sagen und tun können, was man wollte (vermutlich), ich war da auch noch nicht so weit und hab (und tue es ja immer noch) ständig Leute angezogen, die mir die Hand nur halb reichen konnten und es wäre zu gefährlich gewesen, sie ganz anzunehmen, weil ich noch nicht so weit war und weil die andere Person mich eh nicht hätte halten können. Es ist auch so oft eskaliert, auch von Seiten der anderen Person, die da ihre blinden Flecken hatte und mich tatsächlcih genau an den Stellen dann 'angegriffen' bzw. verletzt hatte, wo ich am verwundbarsten war. Auch durch Therapeuten und professionelle Helfer. Deshalb weiß ich nicht, ob es dann für jemanden, der außen steht, überhaupt ein Verhalten gibt, das 'richtig' oder 'falsch' ist im Sinne einer 'Lösung des Problems'. Vermutlich gibt es schon Verhalten, das dem Anderen in dem Moment besser tut und weniger gut tut, aber irgendwie glaube ich, dass es sein könnte, dass die Person die Hand, die man ihr über die Mauer hinweg reichen will, eben einfach momentan nicht annehmen kann. :| Man zieht dann einfach die Leute an, wo beide etwas lernen können und das 'Problem' löst sich erst mit der Zeit bzw. ist vielleicht gar kein 'Problem', sondern einfach eine sehr große Entwicklungsaufgabe, die das ganze Leben über dauert und nichts, was repariert werden muss, sondern es gehört erstmal zu einem dazu und ist anzunehmen? Ich weiß es nicht genau, bin gerade selbst sehr melancholisch und schreibe deshalb eher auf einer abstrakten Ebene.


    MIch zerbricht das momentan auch bzw. führte mich noch eine Stufe weiter zurück in meiner Vergangenheitsbewältigung, wo mir nochmal so richtig bewusst wurde, dass ich wohl früher, bevor ich wohl schon als Baby komplett dicht gemacht habe und in mir selbst verschwunden bin, auch ein kurzes Zeitfenster gehabt haben musste, wo ich meiner Mutter bildlich gesehen die Hände entgegengestreckt habe, aber dann eben auch nur Ablehnung zurückkam. Und dieser Schmerz wird bei mir momentan aktiviert, wenn ich jemandem die Hand reichen möchte, der sie aber nicht haben will. oder nicht annehmen kann. Ich hab dann das Gefühl, dass das 'Gute' in mir, das 'geben-Wollende' und nur 'Sein-Wollende' verstoßen wird, weil es mich doch mittelstark triggert. Daran kann man vermutlich selbst auch etwas lernen.


    Ich bin mittlerweile dazu übergegangen, für die Person zu beten und das an Gott abzugeben. Besonders gut gelingt mir das vermutlich nicht. Aber ich glaube, dass es schonmal gut ist, wenn man sich selbst nicht mehr durch die Rückzüge der Person komplett gekränkt fühlt. Wenn einem das gelingt, hat man bei sich vermutlich schon einiges aufgearbeitet. Ob man dann trotzdem in der Situation bleiben will oder gehen soll, weiß ich selbst nicht. Es gibt ja dann für einen selbst irgendwie nichts mehr 'zu holen'. Mich hält momentan dennoch etwas, wahrscheinlich die Ahnung um die tiefe Sehnsucht, die das Gegenüber in sich trägt und dass ich es nicht übers Herz bringe zu gehen, weil sich das Gehen von anderen Menschen damals bei mir zwar auch sehr erleichternd anfühlte, aber weil es trotzdem jedes Mal wie ein eigener Tod war, da ich davon extrem getriggert wurde. Ich will dieses schlimme Gefühl dem anderen nicht zumuten. :|


    Momentan versuche ich in meinem Fall zu akzeptieren, dass es eine Mauer an bestimmten Stellen gibt, ich erkläre mir das mit Resonanz. Dass an bestimmten Stellen zu bestimmten Zeiten mit der Person keine Resonanz möglich ist. Ich übe, damit umzugehen, was das bei mir auslöst. Warum ich permanente Resonanz brauche. Und bin noch am einsortieren, ob es mir gut tun würde, in der Situation zu bleiben (auch wenn zeitweise keine Resonanz zurückkommt) oder besser tun würde, zeitweilig oder ganz aus der Situation rauszugehen. Jedenfalls ist mir bewusst, dass ich selbst ein Problem mit der fehlenden Resonanz habe (also wenn die Person eine Mauer hochzieht, obwohl sie vorher sehr offen war) und da lohnt es sich ja schon, weiter bei sich selbst hinzuschauen und damit zu 'experimentieren'.


    Der Text des Songs ist ansonsten sehr krass. Schreib den doch in den Song-Thread, falls er da noch nicht drin steht! :) Da können solche Songs gesammelt werden. Ich höre auch Sachen von Lotte, den Song kante ich noch nicht, muss ich mal schauen, ob es ein neues Album gibt. Ich könnte den Text auch 1:1 auf den Mann übertragen, um den es immer noch bei mir geht. Da hab ich auch teilweise den Eindruck, dass er so tief verletzt wurde und sich bei gewissen Themen hinter allem verschanzt, um nicht noch tiefer verletzt zu werden, nur ist es ihm in diesen Momenten (und in anderen auch?) offenbar nicht möglich, zu erkennen, wie er mit seinem Verhalten wiederum auch andere verletzt. :| Ich sehe dennnoch permanent das 'Gute' in ihm, weil ich meine, ihn erkannt zu haben über den Blick in seine Augen und seine Seele. Ich glaube, dass sein Verhalten wirklich sowas ist, wie es teilweise bei Borderlinern vorkommt, dass man weggestoßen wird, aber eigentlich wünscht sich die Person so sehnlich Kontakt. Im Prinzip ist das unlösbar und die Sache ergibt vielleicht wirklich erst dann Sinn, wenn man von der 'Lösungsebene' weggeht und noch in Liebe IST.

  • Mich hält momentan dennoch etwas, wahrscheinlich die Ahnung um die tiefe Sehnsucht, die das Gegenüber in sich trägt und dass ich es nicht übers Herz bringe zu gehen, weil sich das Gehen von anderen Menschen damals bei mir zwar auch sehr erleichternd anfühlte, aber weil es trotzdem jedes Mal wie ein eigener Tod war, da ich davon extrem getriggert wurde. Ich will dieses schlimme Gefühl dem anderen nicht zumuten. :|

    Vielleicht wäre es auch interessant, hinzuschauen, warum man glaubt (falls das bei dir auch so ist), dass das Gegenüber an einer bestimmten Sache zerbrechen würde oder ein bestimmtes Gefühl nicht aushalten könne. In meinem Fall mit dem Mann gibt es schon deutliche Anzeichen dafür, dass er Gefühle nicht aushält, weil er z. B. trinkt und Drogen nimmt, Themen abrupt wechselt, Telefonate auflegt, wenn es schwierig wird etc. Aber mit meinem Vorgehen bestärke ich ihn ja eigentlich nur darin und melde ihm subtil und unbewusst zurück, dass ich nicht an ihn glaube, dass er bestimmte Dinge aushalten wird. Vielleicht würde es ihm mehr helfen, wenn man ihm (die ihm wohl selbst fehlende) Zuversicht schenkt, dass man daran glaubt, dass er mit bestimmten Dingen umgehen kann und man ihm das zumutet. Damit würde man auch signalisieren, dass man ihn als eigenständige Person sieht. Bei meinem Gegenüber ist es nämlich so, dass er wohl niemals wirklich ein gefestigtes eigenes Ich entwickeln konnte und sich schon schwer damit tut, seine eigenen Bedürfnisse und sich selbst wahrzunehmen. Wenn man ihm dann auch noch ständig unterschwellig rückmeldet, dass man eh nicht glaubt, dass er mit einer 'Trennung' zurechtkommen würde, bedient man ja nur weiter dieses Muster. :/ Keine Ahnung, das wird jetzt auch sehr theoretisch und geht sehr auf die Ebene der psychologischen Hintergründe, während ich eben noch eher auf der spirituellen Ebene 'dachte'.

    Vielleicht hilft man dem anderen dadurch, in dem man ihm durch das eigene Verhalten zeigt, dass man ihn als eigene Person sieht?

    Ich muss mir aber selbst mal überlegen, warum ich ihm nicht zutraue, bestimmte Dinge auszuhalten bzw. warum ich seine Lösungsmöglichkeiten (Drogen zur Bewältigung der Gefühle) nicht akzeptiere. Er wird möglich zu dieser Bewältigungsmöglichkeit greifen, wenn ich mich von ihm abwenden würde, aber ich bin dafür ja nicht verantwortlich, ich trage nicht die Schuld daran, dass er diese Bewältigungsmechnismen hat, die ihm womöglich schaden. Vielleicht schaden sie ihm ja gar nicht, sondern helfen ihm momentan. Ich spiele aber wieder mal Gott und glaube von außen alles beurteilen zu können und nehme dem anderen gleich noch die Verantwortung für sein ganzes Leben ab. Auch etwas, was wohl beide seine Elternteile in extremem Ausmaß tun, nämlich ihm die Verantwortung für praktisch alles abnehmen, einschließlich der Finanzen etc. Dieses Muster bediene ich wohl leider auch und vielleicht sollte ich drauf achten, warum ich das tue. Warum ich so vereinnahmend bin und glaube, das alles besser zu wissen und für ihn tragen zu müssen. Das verstehe ich nicht wirklich, wo es herkommt.


    Ich hoffe, dass die Gedankengänge meinerseits nun nicht zu umfangreich und 'philosophisch' geworden sind Haaasi Dein Schreibstil hatte etwas in mir angesprochen und ich habe gerne auf der Ebene meine Gedanken sich ausbreiten lassen und freue mich, wenn es vielleicht auch jemand anderem wiederum dient. Für mich fühlt es sich gut an, wenn man auch mal auf dieser philosophisch-spirituellen Ebene einfach die Gedanken in den Raum aussprechen darf. Es muss ja nicht gleich alles gelöst werden, sondern eher im Sinne einer Resonanz, ein "ja, ich denke und erlebe manchmal auch so".