Hallo Ratsuchend!
Zitat von Ratsuchend
ja, ich weiß sehr genau, warum alles so war, wie es war. Warum sie so geworden ist, werden musste, wie sie war. Aber wir sind insbesondere in den letzten Jahren uns wieder näher gekommen. Ich konnte sie gehen lassen, ohne dass auch nur eine Frage unbeantwortet wäre. Es wurde alles gefragt, es wurde alles gesagt.
Mit meiner Großmutter hatte ich früher keinen so guten Kontakt. Im hohen Alter dann bekam sie auf die Welt eine andere Sicht, war zu spüren. Ich hatte noch ein paar Jahre mit ihr, die sehr friedlich waren. Es machte nicht weg, wie es vorher war, aber es versöhnte. Als alle sie aufgaben, aber ich nicht und sie noch ein paar Monate lebte, war das für sie noch eine sehr wichtige Zeit, da sie noch eine wichtige Begegnung hatte. Als sie dann starb, war ich traurig, konnte sie jedoch auch in Ruhe gehen lassen.
Meine Mutter schreibt für mich ihre Lebenserinnerungen auf. Es ist ihre Art, mir mitzuteilen, was ihr wichtig ist noch mir zu sagen. Das wühlt mich sehr auf. Wie ich damit klarkomme, weiß ich noch nicht, finde es aber gut.
Zitat von Ratsuchend
Mir hat kreativer Ausdruck immer sehr geholfen, zumindest einen akuten Schmerz zu lindern. Gedichte oder Geschichten schreiben. Für mir war es, als ob ein Eitergeschwür aufgeschnitten wäre. Der größte Dreck kann abfließen und danach setzt die Heilung ein. Damit kommt man aber nur an die Metastasen ran. Um an die Quelle des großen Schmerzes zu kommen, ist entweder ein besonders einschneidendes Erlebnis notwendig oder die Mithilfe einer Therapie. Gerade Ängste und Schmerzen beflügeln die Kreativität, mehr als Psychopharmaka.
Psychopharmaka stehe ich auch sehr kritisch gegenüber, nahm daher nie welche, obwohl ich mehrfach welche hätte nehmen sollen. Kreativität braucht es auch, um neue Wege für sich zu finden. Das Bild, was Du hier verwendest, wie Verletzungen reagieren, das trifft es gut. Ich schreibe auch - allerdings nicht in größter Not, sondern immer erst, wenn ich schon stabiler bin.
Zitat von Ratsuchend
Heute erschrecke ich, wenn ich einige meiner frühen Gedichte lese. So finster, so verzweifelt, so hoffnungslos.
Was ich ganz interessant finde. Ich habe so vor 16 Jahren einen Text geschrieben, in dem es um das Erwachsenwerden geht. Um das Loslassen. Das Loslassen von der Jugend. Loslassen von nicht mehr Notwendigem. Von zentnerschwerer Last, die auf einem lastet und deren Ursache man nicht kennt. Das man sich Hilfe suchen muss. Das es Zeit bedarf. Das man statt dem Blick zurück immer mehr dem Blick nach vorn suchen soll...Und als ich den Text jetzt wieder las, war mir, als hätte ich damals einen Blick in die Zukunft geworfen. Denn all das, was ich damals schrieb, ist heute mein Thema. Ich habe die zentnerschwere Last erkannt und mich von ihr befreien können. Die Vergangenheit kann ruhen. Loslassen und neu orientieren. Verlustangst ist damit sehr wahrscheinlich überwunden. Bindungsangst könnte eine Rolle spielen, wenn sich wieder eine Beziehung anbahnen könnte - wegen Angst vor neuer Enttäuschung. Bin aber optimistisch. Habe zumindest eine Frau kennen gelernt, mit der ich schon eine gute Freundschaft habe. Und die Dinge anders, langsamer, entspannter angehe als sonst. Ich hätte gerne eine neue Beziehung, muss sie aber nicht haben.
Ich glaube auch, dass manches unbewusst schon sehr viele Jahre vorher in einem arbeiten kann, bevor es dann einem klar wird und sich ein anderer Weg des Umgangs damit finden lässt.
Was ich nicht verstehe: Wenn Du Angst vor erneuter Enttäuschung hast und daher Bindungsangst, was ist da für Dich der Unterschied zur Verlustangst?
Die Frau, von der Du hier schreibst, ist das die, bei der Du in einem anderen Beitrag nun geschrieben hast, dass dies wieder das alte Muster für Dich wäre und Du da jetzt eine Grenze gesetzt hast? Oder ist es ein anderer Kontakt? Ich wünsche Dir, dass es sich gut entwickelt.
Zitat von Ratsuchend
Wegen durch Ängste zerbrochenen Beziehungen sind wir alle hier...Und du scheinst deinen Ängsten ja auch schon sehr gut auf der Spur zu sein.
Ja, schon sehr lange. Manchmal habe ich jedoch das Gefühl, ich renne immer hinterher. Bin also z. B., wenn die Angst klein genug ist, zu spät, um noch eine Familie gründen zu können. Und was mir auch Kopfzerbrechen macht, das ist mitzubekommen, wie viele natürlich schauen, wie waren bei dem Menschen vorherige Beziehungen und davon abhängig machen, sich auf diesen Menschen einzulassen oder nicht. Ich kann es einerseits verstehen, andererseits bliebe ich dann lebenslang ohne Chance auf ein Leben, wie ich gern leben möchte mit Partner.
Zitat von Ratsuchend
Der Tod war schon mein Begleiter, als ich noch nicht laufen konnte. Real und im Stillen in den Erinnerungen meiner Mutter. Der Tod wurde stets tabuisiert. Irgendwann wurde ich selbst das Tabu, wurde Teil der schwarzen Szene. Suchte dort nach Antworten und lebt quasi den Tod. Er war immer präsent. Ich war oft auf Friedhöfen - der Ruhe wegen. Als Kind war er mein Spielplatz, während meine Mutter das Grab pflegte. Ich wurde zum Einsiedler. Enttäuscht und verletzt von den Menschen. Erst als ich das Tabu - den Tod meines Vaters - ansprach, wurde ich von dem jahrelangen Alptraum, der damit verbunden war, erlöst. Ich habe als Kind Erzählungen, die nichts miteinander zu tun hatten, fälschlicherweise miteinander verknüpft - und damit selbst das Drehbuch für meinem Alptraum mit Dauerkarte geschrieben. Nach dem klärenden Gespräch wendete der Traum sich zum Guten - und ich träumte ihn danach nie wieder.
Ich finde schlimm, was ein Schweigen anrichten kann. Mit Dir hätte viel früher gesprochen werden müssen. Von Dir aus hättest Du das als Kind oder Jugendlicher nicht gekonnt. Gut, dass Du es später geschafft hast. Aber warum merken Menschen nicht, dass oft viel furchtbarer ist, was durch Schweigen entsteht als das, was sie befürchten, was geschehen würde, würde man miteinander darüber reden.
Auch mit mir wurde nicht geredet über den Tod eines mir sehr geliebten Menschen.
Zitat von Ratsuchend
Ich habe den Verlust von Menschen durch Tod damit verbunden, dass ich auch Menschen in Beziehungen verlieren werde. Und so kam es immer wieder. Verlust- und Bindungsangst, eine verhängnisvolle Kombination.
Das ist mir auch gut bekannt. Ich habe ja als Kind immer damit gelebt, dass ein geliebter Mensch an einer Krankheit hätte sterben können (die Gefahr war sehr real) - was dann auch geschah, aber ganz anders, noch viel schlimmer. In einer Beziehung habe ich nicht nur Angst, jemand geht, weil die Beziehung nicht gut klappt, sondern auch, dass demjenigen etwas passiert.
Wie hast Du diese Kombination für Dich auflösen können?
Zitat von Ratsuchend
Aber irgendwann wollte ich nicht mehr die Finsternis sehen. Sie kannte ich nur zu gut. Ich wollte die Sonne sehen. Und so kämpfe ich mich zurück ins Licht. Und es wird immer heller. Erst heute verstehe ich viele Dinge, die mir schon vor Jahren gesagt wurden. Aber ich musste wohl erst noch ein paar Lektionen lernen.
Dass Du dazu entschlossen bist, ist zu spüren. Es wird dann sicherlich auch viel noch geben, wo es dennoch dunkel ist oder Steine im Weg liegen, aber ich denke, Du wirst diesen Weg dennoch immer beibehalten oder schnell wieder finden jetzt. Ich glaube, je weiter man ihn geht, umso klarer wird er auch.
Viele liebe Grüße
Mawa