Beiträge von kowai

    "Die Erziehung des Mannes" von Michael Kumpfmüller (2016)


    Eine angenehm zu lesende, keineswegs beklemmende Lebens- und Beziehungsgeschichte. Ein Mann, geboren wohl Mitte der 1960er Jahre, ein Kind der gehobenen Mittelschicht, studiert Musikwissenschaft, hat Freundinnen, wird erfolgreicher Komponist, heiratet, wird Vater von drei kleinen Kindern, wird geschieden, beginnt eine neue Beziehung...


    Viele BA-Elemente sind in die Geschichte eingewoben.


    Das Eltern-Thema: Rückblenden in die Kindheit lassen einen emotional abwesenden Vater erkennen, der wechselnde Geliebte hat und dies auch irgendwann gar nicht mehr vor der Familie verbirgt, und eine passive Mutter, die ihr Schicksal hinnimmt und vom Sohn getröstet werden will. Der Mann beginnt, seinen Vater zu hassen, dessen ständige Doppelbotschaften ihn innerlich stark unter Druck setzen: einerseits liebe Momente, andererseits krasse Abwertungen. Der Vater läßt keinen Zweifel daran, daß er seinen jugendlichen und später studierenden Sohn für einen Versager hält, für eine gescheiterte Existenz. Seine Erfolge erkennt er nicht an. Das Elternhaus als klassische BÄler-Brutstätte.


    Selbstwertproblematik: der Mann kreist fast ausschließlich um sich selbst, traut sich im Beruflichen wenig zu, hat Angst vor Kritik und Zurückweisung, obwohl er ziemlich erfolgreich ist. Offenbar hat er ständig die abwertende, verachtende Stimme seines Vaters im Kopf. Er wird nicht wie ein schwieriger Psycho-Problemfall gezeichnet, er wirkt nicht persönlichkeitsgestört, ist nicht depressiv oder gar süchtig, aber er ist phasenweise so mit sich selbst beschäftigt, daß er die jeweilige Frau an seiner Seite gar nicht wirklich wahrnimmt. Zweifel bestimmen ihn, sowohl im Berufsleben, als auch hinsichtlich seiner Ehefrau. Tatsächlich scheint er ein ganz anderer Typ zu sein als diese Frau, ganz andere Interessen zu haben, und man kann sich zu Recht fragen, wie gut die beiden überhaupt zusammen passen. Aber dann wiederum scheinen ihm diese Dinge gar nicht so wichtig zu sein, man ist halt zusammen, weil man die Frau anfänglich attraktiv fand, und dann bleibt es dabei, so lange, bis man irgendwann nach ein paar Jahren das Interesse aneinander verliert. Beziehungsarbeit: Fehlanzeige. Der Mann “löst” die Situation jeweils, indem er zu einer neuen attraktiven Frau wechselt, oder die Frau geht halt.


    Verwechseln von Sex mit Liebe/Nähe: der Mann hat nicht viele, dafür sehr dauerhafte Beziehungen, es gibt hier also keine chaotischen Irrungen und Wirrungen, keine “Fluchtpartnergeschichten”, aber bei den Beziehungen, die er hat, fragt sich, warum er mit den Frauen überhaupt zusammen ist. Alles scheint recht oberflächlich, die Persönlichkeiten der Frauen bleiben meist blaß. Hingegen bekommt Körperlichkeit einen großen Stellenwert. Neue Beziehungen entstehen über sexuelle Attraktivität, sie entwickeln sich in Richtung von “Freundschaft Plus” und bleiben dabei auch stehen. Auch die Ehe, die der Mann führt. Man lebt halt nebeneinander her, und solange man Sex hat, ist es irgendwie ok. Was will man erwarten. Im Unterschied zu vielen BA-Geschichten hier im Forum ist es also kein BA-Typ nach dem Schema: erst riesengroße Verliebtheit, dann plötzlicher Rückzug/Flucht, es geht auch nicht um Panikattacken bei zu großer Nähe, er scheint keinen Leidensdruck zu verspüren, im Gegenteil, man fragt sich, was/wieviel er für die jeweilige Frau überhaupt fühlt. Sympathie, sicher, aber Liebe?


    Aktive/passive BA: mal denkt der Mann, noch während er in einer Beziehung ist, daß er sie wohl bald beenden wird, weil ihm so langsam die Luft raus zu sein scheint; mal ist er mit einer Frau zusammen, von der er glaubt, sie werde ihn ohnehin früher oder später verlassen. Geredet wird darüber aber nicht. Beziehungen beginnen und enden einfach irgendwie, ohne große Aufregung, ohne großes Bedauern.


    BA-PartnerInnen, die ebenfalls ein Nähe-Problem haben: die Freundinnen/Ehefrau des Mannes haben alle mehr oder weniger deutlich beschriebene psychische Probleme (eine Freundin hat depressive Rückzüge und läßt jahrelang keinen Sex zu) und/oder können ebenfalls keine Nähe, sind ebenso sprachlos wie der Mann. Natürlich fühlt er sich zu Frauen besonders hingezogen, die ihn eher distanziert behandeln.


    Sprachlosigkeit/Konfliktunfähigkeit: Konflikte werden nicht ausdiskutiert, sondern ausgeschwiegen, in der Erwartung, daß man sich bestimmt bald wieder verträgt.


    Schlechtes Gewissen: der Mann trifft eine Ex-Freundin, die sehr an ihm hängt, weiterhin, obwohl er schon eine neue Beziehung hat. Er will eine Art Freundschaft aufrechterhalten, obwohl die Ex-Freundin ihm eigentlich nichts mehr bedeutet, aber er will sie ja nicht verletzen und weist ihre Kontaktversuche daher nicht zurück.


    Therapie: nebenbei wird erwähnt, daß der Mann mit Anfang 30 reif für eine Psychotherapie ist, die ihm sehr hilft, das Eltern-Thema aufzuarbeiten. Wie / ob die Erkenntnisse aus der Therapie sein Beziehungsverhalten beeinflussen, wird aber nicht gesagt.


    Schließlich scheitert seine Ehe, es beginnt ein Scheidungskrieg und der Mann scheint gar nicht so recht zu verstehen, was seine Ex-Frau eigentlich von ihm will, was sie ihm eigentlich vorwirft. Aus ihrer Sicht hat er sich wohl wie ein “Energievampir” verhalten, und mithilfe ihrer Anwältin will sie nun finanziell von ihm zurückholen, was er ihr emotional in den Ehejahren genommen hat. Er hingegen will einfach nur in Ruhe leben mit seiner neuen Freundin und den drei Kindern, die abwechselnd bei ihm und bei der Mutter sind. Seine größte Angst ist nun, daß er die Kinder verlieren könnte, denn diese liebt er sehr, mehr als die jeweiligen Frauen.


    Die neue Frau, mit der er nach Beendigung seiner Ehe zusammen ist, paßt offenbar sehr gut zu ihm. Sie ist Musikerin, teilt also sein berufliches Interesse, hat selbst keine Kinder und versteht sich gut mit seinen. Aber letzten Endes verläßt sie ihn, weil ihr die Kinder wohl doch zu stressig sind und sie sich auf ihre Karriere konzentrieren will, die häufiges Reisen erfordert.


    Erst im Alter von Anfang 60 gibt es für den Mann offenbar ein “Ankommen”, als die Streßfaktoren seines Lebens wegfallen: die Kinder sind groß, keine Konflikte mehr mit der Ex-Frau, beruflich muß er sich nichts mehr beweisen. Nun beginnt eine neue, entspannte Beziehung – mit seiner Jugendliebe.

    Ein update von meinem guten Freund, dem hartnäckigen Langzeit-BÄler mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Er ist seit mehr als anderthalb Jahren in Therapie und hat sehr gute Fortschritte gemacht. Eltern-Thema soweit aufgearbeitet, daß in den Sitzungen jetzt kaum mehr Neues drankommt, die Anti-Depri-Medikation wird stufenweise zurückgesetzt, er kann wieder regelmäßig zur Arbeit gehen und sogar ab und zu Überstunden machen, ein großer Erfolg, denn vor seiner Therapie bestand sein größtes Lebensziel darin, möglichst bald im Lotto zu gewinnen oder in Frührente gehen zu können, damit er endlich nicht mehr zur Arbeit muß.


    Nun meint er, seine Therapie eigentlich beenden zu können, denn ihm geht es gut, er ist zufrieden. Das Thema "Beziehungen" bzw. seine bisherige Unfähigkeit dazu hat er allerdings kein einziges Mal angesprochen. Ich hoffe, er tut es noch... ich habe ihn jedenfalls dazu angeregt, und da meinte er, seine Therapeutin hätte letztens auch mal was in der Richtung gefragt...irgendwie scheint er dem Thema ausweichen zu wollen. Er meinte, er vermeidet halt im Moment alles in der Richtung, um seinen Therapiefortschritt nicht zu gefährden.


    Dies nur noch mal als Beobachtung zur Frage, wie lange Therapien dauern und welche Veränderungen sie in Bezug auf BA bringen können. Wenn man das Thema nicht ansprechen, sondern die Therapie schon vorher abbrechen will, wahrscheinlich leider erstmal keine allzu großen... :neutral: Aber die Geschichte meines Freundes ist noch nicht zu Ende, glaube ich.


    "Richtig" und "falsch" sind ja vielleicht nicht ganz die richtigen Kategorien, meine ich.


    Ich glaube, ein ganz wesentlicher Unterschied zwischen unseren Geschichten ist, daß mein BÄler nach 2-3 sehr vielversprechenden Monaten und 2-3 recht quälenden Monaten einfach verschwand. Ich hatte also recht wenig Gelegenheit, eine Beziehung zu halten, da diese noch gar nicht wirklich existierte, dafür gab es einfach viel zu wenig Treffen und Kommunikation. Das beschäftigt mich eigentlich am allermeisten: warum kriegen die Männer immer irgendwann zuviel und laufen einfach weg, obwohl sie mich doch angeblich so toll finden? Diese Hilflosigkeit macht mich fertig.


    Bei Dir scheint es über einen längeren Zeitraum mehr Kommunikation gegeben zu haben, also auch mehr Gelegenheiten, irgendwas mit Grenzen auszuprobieren. Wo diese Grenzen liegen, ist ja allerdings auch individuell sehr verschieden. Ich würde z.B. keine Fluchtpartnergeschichten akzeptieren, da wäre für mich Schluß. Du hast das hingegen offenbar hingenommen - aber wenigstens gesagt, daß Du das nicht gut findest...- so sieht dann Deine Grenzsetzung aus - oder? In anderen postings schreibst Du auch, es wäre wichtig, daß man auf den BÄler eingeht, selbst zurücksteckt usw. - die Balance zu finden zwischen Grenzen setzen und zurückstecken ist bestimmt nicht einfach, auch nicht in normalen, sicheren Beziehungen. Bei BA-Beziehungen ist es nur nochmal sehr viel schwieriger, weil es ja jederzeit aus sein kann. Man setzt ein Grenzchen, und der BÄler fühlt sich sofort total abgelehnt, oder man kommuniziert ein Bedürfnis - das ist eher mein Thema - und der BÄler denkt, daß er das nicht erfüllen kann - und haut ab... für dieses ständige Nervenspiel habe ich wohl keine Kraft mehr.

    Zitat von podenca


    Ich wollte als Kind auch immer ein Junge sein... ich glaube bis heute, dass meine Eltern sich einen Jungen gewünscht haben. Meine Mutter hat mir immer wieder die Haare kurz abgeschnitten, obwohl ich geheult habe. Als ich in die Pubertät kam wurde es noch schlimmer... ich kleidete mich dann in weiten Sachen, Männerkleidung meist.


    Das war bei mir auch so. Ich wollte immer ein Junge sein, weil ich a) gesehen habe, daß Jungs viel mehr dürfen als Mädchen, und weil b) meine Mutter mir immer wieder unter die Nase gerieben hat, daß andere Mädchen viel besser waren als ich - das hat meine Freundschaften zu Mädchen richtig vergiftet. Dann kam noch hinzu, daß es auch mal hieß, mein Vater würde sich so selten mit mir beschäftigen, weil ich eben kein Junge war - mit einem Jungen hätte er ja Fußball spielen können, aber mit einem Mädchen wüßte er natürlich nichts anzufangen. Mädchen gehörten halt zur Mutter... :kotz:


    Meine Mutter hat mir meine Haare auch immer kurz geschnitten, weil sie damit überfordert war, daß ich heulte, wenn es beim Haarewaschen und Kämmen so ziepte... meine kurze Haare waren praktischer für sie. Heute genieße ich es, lange Haare zu haben, und mein Vorbild sind Frauen, die auch jenseits der 60 noch lange Haare haben... :-D

    Zitat von Morwen1984

    Der nächste Schritt von mir wird das Bitten um einen Dreiertermin sein, den ich bei meinem Chef anbringen werde. Alle meine Versuche mit ihm so nochmal zu reden (Mo ging er mir natürlich auch wieder aus dem Weg...*grrr*) schlugen meinerseits fehl und ich spiele dieses Spielchen schlichtweg nicht mit!!!!


    Das finde ich sehr gut! Wahrscheinlich wirst Du Dich bei einem solchen Termin als die Stärkere erleben, was - unabhängig von der praktischen Lösung, die dabei hoffentlich gefunden wird - Dir auch guttun kann. Und gegenüber Deinem Chef kannst Du damit zeigen, daß Du Interesse daran hast, daß auf Arbeit wieder alles gut läuft - Punkt für Dich!

    Zitat von greeny19

    Damit wollte sie mir zeigen, dass es richtig und gut ist, Ärger zu zeigen und dass andere das aushalten können, ohne sich von einem abzuwenden. In vielen Situationen konnte ich das schon, aber ich habe jetzt gelernt, das auch gegenüber den Menschen zu tun, wo es für mich wirklich darauf ankommt, weil sie mir sehr wichtig sind.


    Da erkenne ich gewisse Parallelen zu meinen Gesprächen... :-D


    Zitat

    Das hat dazu geführt, dass ich mit meinen Eltern ein sehr offenes, durchaus schmerzhaftes, aber auch heilsames und versöhnliches Gespräch geführt habe. Und auch mit meiner Freundin, von der ich hier berichtete, habe ich sehr offene Worte gesprochen und meinen Standpunkt klargemacht, wobei ich eine vorübergehende Ablehnung in Kauf genommen habe.


    Ganz herzlichen Glückwunsch!!! Super, daß Du das gleich umgesetzt hast! Ach, toll...! :cheers:


    Zitat

    ganz anders angepackt, gespiegelt und getriggert


    Yeah! :P


    Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg! Du scheinst trotz Deiner "Verkopftheit" aber doch sehr offen zu sein und gut auf die Behandlung anzusprechen...bist wohl keine von den ganz harten Nüssen... :-D

    Zitat von Sukramine


    Der Ansatz des Buches ist tatsächlich ein anderer.


    Die Botschaft an "ängstliche Beziehungstypen" - die hier im Forum in der Regel als "BA-Partner" aufschlagen - lautet: an Euch ist nichts verkehrt, Ihr habt ein sehr normales Bindungsbedürfnis, aber Ihr seid an jemanden geraten ("Vermeider"), der auf dieses Bindungsbedürfnis nicht eingehen kann. Daß Ihr jetzt durchdreht und leidet - und nicht einfach weggeht -, liegt daran, wie Euer Bindungssystem aufgrund Eurer Lebenserfahrungen eingestellt wurde. Wärt Ihr an einen "sicheren Partner" geraten, hättet Ihr aber sowieso gar kein Problem, weil der auf Eure Bedürfnisse adäquat eingehen würde. Im Buch gibt es dazu Beispiele von Menschen aus der Praxis der beiden AutorInnen, bei denen kein Selbstwertproblem festgestellt werden konnte, die aber dennoch am Rad drehten und "klammerten", als sie auf einen "Vermeider" trafen. Beides ist also nicht untrennbar miteinander verbunden, wie es die Stahl-Bücher suggerieren.


    Die Gefahr des "Selbstwertansatzes" liegt m. E. darin, daß man versucht, an sich selbst herumzudoktern mit dem Ziel, "emotional unabhängiger" zu werden - und damit letztlich sein menschlich-natürliches Bindungsbedürfnis zu unterdrücken, was einem dann auch nicht weiterhilft. Das Problem liegt außerdem darin, daß man, wenn man sich so "unabhängig" gibt, bloß noch mehr "Vermeider" anzieht, weil die ja gerade darauf anspringen... das kann nicht die Lösung sein. Im Gegenteil: es wird empfohlen, so früh und so direkt wie möglich seinen eigenen Nähewunsch zu kommunizieren.


    Das Buch wendet sich übrigens auch an "Vermeider". Es wird gesagt, daß deren Bindungsbedürfnis ebenso groß ist wie bei allen anderen Menschen auch, daß sie dieses Bedürfnis aber unterdrücken - auf die uns vielfach bekannten Arten und Weisen... Diese "Vermeidungsstrategien" lassen sich durch Therapie beseitigen. Es kommt aber wohl auch vor, daß "Vermeider" aufgrund von Lebenskrisen so erschüttert werden, daß sie zum "ängstlichen Typ" mutieren...was eine Weiterentwicklung dann wiederum leichter machen würde.


    Neu bzw. anders an dem Buch ist also, daß es differenziert zwischen "Ängstlichen" und "Vermeidern". Während das "Klammern am Vermeider" als erstmal ziemlich normale Reaktion gewertet wird, gilt den AutorInnen allein das "Vermeidungsverhalten" als Problem, weil die Betroffenen damit ihr biologisch angelegtes Bindungsbedürfnis sabotieren, was die andere Gruppe eben nicht tut. Die auf dem "Selbstwertkonzept" beruhenden Ansätze sehen da hingegen ja im Grunde keinen Unterschied, weil sie davon ausgehen: 1) beide Gruppen haben ein Selbstwertproblem und 2) dieses Problem ist die Wurzel allen (Bindungs-)Übels... Das sehen die AutorInnen dieses Buches wohl nicht so, obwohl das Buch allerdings auch keine Analysen oder Erklärungen bietet, wie "Vermeidungsverhalten" entsteht. Es ist kein psychologisches Fachbuch zum Thema "Bindungsangst", sondern ein Ratgeber für den Hausgebrauch, aber einer, der auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.


    Ich möchte aber noch hinzufügen, daß ich nicht glaube, daß es DEN Ratgeber gibt, der für jede/n paßt. Mir persönlich sagt dieses Buch sehr zu, da ich mit diesem "Selbstwertansatz" für mich nie so wirklich zurechtkam, das hat für mich einfach nicht richtig gepaßt. Andere mögen das aber vielleicht absolut einleuchtend finden und auf diesem Wege zu einer positiven Weiterentwicklung kommen, und das ist ja das Wichtigste.


    Letztlich, auch hier wieder mein Plädoyer, ist für mich die Begleitung durch eine Fachperson, die individuell auf einen eingeht, nicht durch Lektüre zu ersetzen.

    Das Buch heißt eigentlich: "Warum wir uns immer in den Falschen verlieben - Beziehungstypen und ihre Bedeutung für unsere Partnerschaft".


    Geschrieben wurde es von einem Psychiater/Neurowissenschaftler und einer systemischen Psychotherapeutin. Das amerikanische Original erschien 2010.


    Das Buch basiert auf neuesten Erkenntnissen aus der Bindungsforschung, und diese sind nun doch etwas anders, als wir sie z.B. aus den Büchern von Frau Stahl (noch) kennen...


    Dieses Buch räumt u.a. auf mit folgenden Grundannahmen, die die Wissenschaft inzwischen offenbar überholt hat:
    - welchen Bindungsstil man hat, wird in der Kindheit festgelegt --> nein, der individuelle Bindungsstil wird im Laufe des Lebens infolge unterschiedlicher Erfahrungen z.T. sehr stark beeinflußt, er verändert sich und ist auch bewußt veränderbar, er ist flexibel
    - Kinder brauchen eine sichere Bindung an die Bezugsperson(en), Erwachsene jedoch nicht mehr --> nein, auch Erwachsene brauchen eine sichere Bindung, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie ein Kleinkind
    - der erwachsene Mensch muß dazu in der Lage sein, sich aus sich selbst heraus glücklich und zufrieden zu fühlen, das ist normal --> nein, normal ist es, sich durch befriedigenden Kontakt mit anderen Menschen, insbesondere mit seinem Partner, glücklich und zufrieden zu fühlen
    - emotionale Abhängigkeit vom Partner ist schlecht - eine ideale Beziehung wird geführt von zwei reifen, autarken Personen, die sich gegenseitig klar ihre Grenzen kommunizieren --> nein, emotionale Abhängigkeit vom Partner ist einfach ein (wissenschaftlich meßbarer, biologischer) Automatismus - wer frei und glücklich leben will, muß vom richtigen Menschen abhängig sein, eine sichere Bindung fördert Unabhängigkeit


    Der sich daraus ergebende Ansatz des Buches, daß man auch als Erwachsener zu seinem Bindungsbedürfnis stehen und dieses auch klar vertreten soll, anstatt zu versuchen, ein "emotional unabhängiger" Mensch zu werden, der keinen Partner brauchen muß, leuchtet mir persönlich voll und ganz ein. Ich empfinde dieses Buch als rund und stimmig, und es ist völlig auf der Linie der Gespräche, die ich beim Paartherapeuten über mein "BÄler-Problem" führe.


    Die Stichworte "Bindungsangst", "Verlustangst", "Inneres Kind" und "Selbstwert" kommen in diesem Buch nicht vor, stattdessen geht es um "Beziehungstypen und ihre Interaktion im Alltag", "aktivierte/deaktivierte Bindungssysteme", "sichere Bindung" und "klare Kommunikation".


    Hier wird also BÄler-Partnern kein Selbstwertproblem attestiert (außer in Extremfällen, wo jemand jahrelange Demütigungen erträgt), niemand wird pathologisiert, aber klar gesagt, daß "Vermeider" ihren Beziehungstyp nur durch Therapie verändern können, wenn sie es denn wollen.


    Besonders gut: ein recht großer Teil des Buches beschreibt den "sicheren Beziehungstyp". Wie verhalten sich diese Menschen in konkreten Alltagssituationen? Was machen sie im allgemeinen immer wieder richtig? Wie gehen diese Menschen bei der Partnersuche vor? Woran würde ich einen "sicheren Typ" erkennen?


    Auch interessant: statistische Daten zur (geschätzten) Verteilung der Beziehungstypen in der Gesamtbevölkerung; ein sehr einleuchtender Fragebogen zur Feststellung, zu welchem Beziehungstyp der eigene Partner wohl gehört; Übungsaufgaben zur Einschätzung von Beziehungstypen anhand kurzer Skizzen aus dem Alltagsleben von Paaren usw.


    Ein sehr erfrischender, pragmatischer, leicht verständlicher und gleichzeitig wissenschaftlich seriös fundierter Grundkurs in Sachen "Beziehung", der das BA-Problem quasi im Vorbeigehen gleich mit erledigt.


    Ein geniales Buch!!! :cheers:


    Ich vergebe 5 von 5 möglichen Sternen!

    Was er erzählt, klingt wie eine ganz normale Gesprächstherapie mit gelegentlichen einfachen Übungsaufgaben (Aufschreiben, was seine guten Seiten sind, seine Stärken, was ihm Freude macht usw.). Vom "inneren Kind", das hier immer mal wieder erwähnt wird, hat er nichts berichtet. Ich glaube auch nicht, daß er die Therapeutin gefragt hat, wie die Therapieform heißt. Gute TherapeutInnen sind ja ohnehin in mehreren Richtungen bewandert. Auf ihrer homepage nennt sie jedenfalls kognitive Verhaltenstherapie, systemische Paartherapie, EMDR und spezialisiert auf eine bestimmte Angststörung ist sie auch.

    Ich habe ja einen Bekannten (ü40), der seit 1,5 Jahren in psychotherapeutischer Behandlung ist wg. seiner narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Auslöser für die Therapie war ein kompletter Nervenzusammenbruch auf Arbeit, dem jahrelange Depressionen vorangingen. Bindungsangst ist bei ihm auch schon lange ein Thema.


    Jedenfalls hat die Therapeutin das Thema "Beziehung" wohl kürzlich erstmals vorsichtig auf den Tisch gebracht, nachdem bisher immer nur über die Kindheit/ Verhältnis zu den Eltern gesprochen wurde. Er hat aber sofort abgeblockt, daß das für ihn derzeit einfach nicht auf dem Plan steht. Er ist froh, daß es ihm dank Therapie (und Medikamenten) nach jahrelangem Leiden endlich einfach mal gut geht und er befürchtet, daß jede "Störung" das wieder zunichte machen könnte. Von Frauen hält er sich bewußt fern, weil er Angst hat, sich zu verlieben, denn dann könnte ja wieder alles aus dem Gleichgewicht geraten.

    Zitat von carinap86


    Es gibt auch einen Beitrag vom ORF zu dem Thema, den ich ganz interessant finde. Hier ist der Link:
    https://www.youtube.com/watch?v=NxzG0LT44AY


    Ich finde den Beitrag etwas verharmlosend, weil die Botschaft lautet: "Habt Geduld und beschert Eurem geliebten Bindungsängstlichen positive Erfahrungen – und die Bindungsangst wird verschwinden." Daß in so manchem BÄler durchaus handfeste, tiefverwurzelte Persönlichkeitsstörungen stecken, die beim besten Willen des liebenden Partners ohne Therapie niemals verschwinden werden, hätte zumindest mal erwähnt werden können. :neutral:

    Zitat von Sukramine

    Wie gesagt, es hat mich wirklcih gewundert, dass so viele Männer und aktive BÄler drunter waren. Da frag ich mich jetzt ein wenig: Haben wirs im Forum dann nur mit den "ganz harten Fällen" zu tun oder haben die Partner zu wenig Geduld? Hm... Waren denn die meisten Seminarteilnehmer akutell in Beziehungen oder allein?


    Die letzte Frage würde mich auch interessieren.


    Das andere stelle ich mir folgendermaßen vor: hier schlagen die Leute auf, wenn's brennt, d.h. oftmals ist die Meldung hier mit einer Trennung verbunden, entweder ging sie voran oder sie ergibt sich im Lauf der Diskussion...und nach einiger Zeit verschwinden die Leute wieder aus dem Forum. So ergibt sich vielleicht der Eindruck, daß die hoffnungslosen Fälle alle hier stattfinden. Aber es ist ja so, daß die Leute, die so ein Seminar besuchen, schon wissen müssen, was ihr Problem ist, und dem geht ja bestimmt meistens ein längerer Leidensweg voraus. D.h., die haben vielleicht auch mal in einem Forum geschrieben oder gelesen, bevor sie ins Seminar gingen - ich glaube eher nicht, daß das zwei unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen "Schweregraden" von BA sind.

    Zitat von zahirch


    ich glaube es waren ein bisschen mehr aktive bindungsängstliche/verlustängstliche als partner.


    vielleicht ein paar mehr männer, aber auch hier soviel ich mich erinnern kann nicht extrem unausgeglichen.


    Na, das scheint ja doch eine etwas andere Sozialstruktur gewesen zu sein als hier im Forum... :wink:


    Echt interessant! Aufgrund vieler Beiträge hier hätte ich mir vorgestellt, daß eher lauter verlustängstliche Frauen/Partnerinnen in so einem Seminar sitzen... daß es bei Dir nicht so war, macht Hoffnung. Wo es doch so schwer zu sein scheint, aktive Wegläufer zur Auseinandersetzung mit dem Thema zu bewegen... haben die betreffenden Teilnehmer erzählt, wie sie auf das Seminar gekommen sind? (Stichwort: Änderungsmotivation....kamen sie von selbst darauf, daß sie an sich etwas ändern wollten, oder wurden sie eher von ihren PartnerInnen dorthin "gezwungen"...? ) Alle Achtung, sich so etwas auszusetzen, denn in einer Gruppe aus lauter Fremden ist es vielleicht nochmal schwerer, über sich zu sprechen, als einzeln beim Therapeuten.


    Wäre auch interessant zu erfahren, wie die weiteren Lebenswege der TeilnehmerInnen verlaufen sind... spannend!

    Danke für den Erfahrungsbericht! Finde den Einblick sehr interessant.


    Waren unter den TeilnehmerInnen eigentlich mehr "aktive BÄler" oder mehr "Partner" - oder hielt sich das die Waage? Mehr Frauen oder Männer? Vielleicht eher im mittleren Alter? Bin neugierig...


    Witzig, sich vorzustellen, daß die TeilnehmerInnen vielleicht die gleichen Gespräche geführt haben wie wir hier... oder war es dort nochmal anders?


    Schön auch, daß es Dir geholfen hat! Die Seminare scheinen dann tatsächlich doch ein etwas anderes Kaliber zu haben als die "Tschakka - Du bist gut!"-Seminare gewisser (selbsternannter) "Gurus"... Kann mir schon vorstellen, daß Frau Stahl das sehr professionell macht.


    So etwas ist teuer, klar, aber vielleicht ist das Geld doch gut angelegt.