Christian Genenger - VORDIR

  • VORDIR



    Angst.
    Ein Gefühl. Schlimmer als jeder Tod.
    Denn du lebst. Du spürst es. Wirst verfolgt. Übermannt. Gelähmt.
    Du kannst vor so vielen Dingen Angst haben.
    Vor Tieren.
    Vor Menschen.
    Vor Krankheiten.
    Vor Tod.
    Doch nichts ist so schlimm wie die Angst VORDIR.
    VORDIR – ein neues Wort für eine ganz bestimmte Angst.
    Ich habe Angst vor deiner Liebe.
    Ja, du hast richtig verstanden. Angst vor Liebe. Angst vor Nähe. Angst dich
    Teil meines Lebens lassen zu werden.
    Irre, oder?!
    Gleichzeitig sehne mich jedoch danach. Nein, nicht nach dieser Angst.
    Sondern nach deiner Liebe. Deiner Nähe. Dass du Teil meines Lebens wirst.
    Doch immer dann, wenn diese Wörter fallen, geschieht es.
    Beziehung. Bindung. Partnerschaft.
    Diese Wörter werden verknüpft mit VORDIR.
    Mit einer diffusen Angst.
    Der Gedanke mich durch deine Liebe zu verlieren, schnürt mir die Luft ab.
    Legt sich wie ein bleierner Mantel über mich.
    Streckt mich nieder! Lässt mich mein Leben wie einen engen Tunnel, der
    mehr und mehr zusammen gepresst wird, wahrnehmen.
    Schrecklich sowas.
    Gerade war ich noch frei, genoss mein Leben, alles war intakt.
    Jeder Atemzug fühlte sich richtig an. Ich hatte die Kontrolle. Über alles.
    Doch dann.
    Kontrollverlust.
    Ganz plötzlich.
    Da ist jemand.
    Du.
    Und je mehr ich preisgebe, je mehr ich mich öffne, desto mehr verliere ich sie.
    Die Kontrolle.
    Doch ist das wirklich so?
    Klar – es fühlt sich ja so an.
    Doch bist du wirklich die Person, die mir meine Kontrolle entreißt?
    Bist du wirklich die Person, die die Kontrolle übernommen hat?
    Nein, denn du bist wie du bist. Und nein, du hast mir nichts getan!
    Du hast nichts übernommen!
    Du hast keine Forderung gestellt!
    Du hast keinen Druck ausgeübt!
    Ich tue etwas dagegen. Ich muss eine Abneigung spüren.
    Doch vor wem?
    Dir gegenüber?
    Mir gegenüber?
    Ich tue also etwas dagegen.
    Es entfernt mich von dir. Nur ein kleines Stück.
    Doch groß und breit genug, um mich wieder vollständig
    nach dir zu sehnen.
    Und gleichzeitig entwickele ich die Abneigung.
    Nicht gegen dich!
    Gegen mich!
    Ich ekel mich an wegen meiner Entfernung zu dir.
    Sehne mich nach dir.
    Damit du die Lücke wieder schließt.
    Damit ich Sicherheit gewinne.
    Damit ich weiß, was ich dir bedeute.
    Doch was bedeute ich mir selbst?
    Viel? Wenig? Alles? Keine Ahnung.
    Ich weiß jedoch, was ich will.
    Und das ist nicht die Angst VORDIR!
    Ich will das Leben leben!
    MITDIR.