• Ich mache mir mal wieder Gedanken um das Thema persönliche Grenzen. Es beschäftigt mich sehr, weil ich immer wieder in Situationen gerate, in denen sich andere Menschen etwas bei mir herausnehmen, aber ich mir im umgekehrten Fall nicht dasselbe bei ihnen leisten darf.


    Aktuelles Beispiel: Heute werden die Mülltonnen bei uns im Haus geleert. Das passiert jeden 2. Dienstag. Außerhalb meiner Urlaubszeiten bin ich beruflich bedingt nur wenig zu Hause und bekomme in 2 Wochen nur eine Mülltüte voll. Unsere Mülltonnen stehen alle im Keller, müssen vor der Leerung die Treppen hochgezogen und nach draußen gestellt werden. Ich hatte schon öfters vor der Leerung 1-2 fremde Mülltüten in meiner Tonne. Weil meine Tonne nicht allzu schwer war, habe ich auch die fremden Tüten mit nach oben geschleppt. Es hat mir nichts ausgemacht, weil die anderen Hausbewohner bis zum Rand volle Tonnen und weniger Platz hatten. Ich habe das Verhalten meiner Nachbarn niemals als Grenzüberschreitung empfunden.


    In den letzten Wochen habe ich viel ausgemistet. Weil meine Tonne beim letzten Mal sehr schwer war, habe ich diesmal 2 Tüten in andere, leichtere Tonnen mit weniger Inhalt gelegt. Als ich vorher meine Tonne nach oben bringen wollte, merkte ich, dass alle anderen Tonnen schon oben waren und meine eigene extrem voll war. Die Nachbarn haben meine Tüten aus ihren Tonnen rausgenommen und in meine reingelegt, obwohl sie so schwer war und ihre eigenen nicht. Ich habe bei ihnen geklingelt und sie darauf angesprochen. Reaktion: „Das ist DEIN Müll, warum sollten wir den nach oben schleppen? Wenn du unsere Sachen hochbringst, bist du selber schuld. Es hat dich ja keiner dazu gezwungen.“


    Mir sind solche Dinge schon oft passiert: Ich habe Kolleginnen im Büro entlastet und ihnen etwas Arbeit abgenommen, damit sie nicht 2-3 Stunden länger als ich dort sitzen mussten und auch eher Feierabend machen konnten. Wenn ich viel zu tun hatte, wollte mir keiner was abnehmen. Dann hieß es: „Das sind DEINE Aufgaben, die musst DU erledigen.“


    Dasselbe Spiel im Umgang mit Partnern, Freunden, usw. Ich habe es oft toleriert, wenn irgendwelche Leute mich kritisiert und angeschrien haben, zu Verabredungen zu spät gekommen sind, auf meine Mails/SMS mit viel Verspätung oder gar nicht geantwortet haben, usw. Aber wehe ich habe mir dasselbe bei ihnen herausgenommen, dann waren sie total beleidigt und haben in manchen Fällen sofort den Kontakt zu mir abgebrochen.


    Was soll das? Warum messen so viele Menschen mit zweierlei Maß und können anderen nicht dasselbe zugestehen, was sie sich selbst bei ihnen herausnehmen? Ich finde nicht, dass ich zu gutmütig bin und mir zu viel gefallen lasse. Wenn mich etwas tatsächlich stört, dann sage oder zeige ich das auch ganz deutlich und schlucke es nicht kommentarlos runter. Dieses Problem begleitet mich, seit ich denken kann. Wenn ich andere Menschen in irgendeiner Hinsicht unterstütze, gehe ich davon aus, dass sie mich bei einer anderen Gelegenheit ebenfalls unterstützen werden. Und dann passiert sowas. Warum? Muss ich meine Grenzen noch härter setzen und verteidigen als bisher (was ich teilweise schon mache)?

  • hi reni,


    ich denke im menschlichen zusammensein beruht viel auf gegenseitigkeit.


    in deinem konkreten beispiel würde ich das so sehen: du bist in vorleistung gegangen, hast deinen nachbarn den müll mit nach oben gebracht, und hattest die berechtigte erwartung, dass sie dies für dich auch tun.
    dies ist ausgeblieben, irgendwie haben da die nachbarn schon auch recht, sie müssen das nicht tun.
    die einzige sinnvolle reaktion darauf ist in meinen augen, ihren müll in zukunft auch nicht mehr hoch zu bringen.


    vor solchen enttäuschungen kann man sich nicht schützen, solche dinge passieren.
    und ich fände es auch eine traurige welt, wenn es nicht immer wieder menschen geben würde, die in solchen situationen anderen entwas zuliebe tun.


    vermutlich hilft nur eins: nicht zu denken, dass der andere mich damit abgewertet hat, sondern, dass der andere einfach ein asoziales a.....ist? ;-)
    oder um es anders zu sagen: du kannst die verhaltensweisen von anderen nicht ändern, aber deine denkweise darüber!


    liebe grüsse


    zahir

    Spock: You mistake my choice not to feel as a reflection of my not caring, while I assure you the truth is precisely the opposite.
    (Star Trek Into Darkness)

  • In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff "Erwartungsmagie" auch sehr schön. Das ist der feste Glaube daran, daß andere sich einem selbst gegenüber in bestimmter Weise verhalten werden, wenn man sich nur lange genug zuerst ihnen gegenüber in der von einem selbst als wünschenswert erachteten Weise verhält. Nur leider gibt es immer wieder Menschen, die sich davon gar nicht beeindrucken lassen - wieviele "magische" Handlungen man auch immer an ihnen vollzieht...


    "Erwartungsmagie" kann auch sein: ich halte lockeren Kontakt zum flüchtenden BÄler, teile ihm immer mal wieder mit, was bei mir im Leben so passiert, versuche, eine Verabredung zu bekommen oder seinen Selbstwert aufzubauen, indem ich ihm vermittele, was für ein toller Mensch er ist... aber die erhoffte Gegenreaktion bleibt einfach aus! :blackeye:


    Es ist dann wohl doch vernünftiger, den Zauberstab irgendwann wieder einzupacken.

  • Zitat von zahirch

    die einzige sinnvolle reaktion darauf ist in meinen augen, ihren müll in zukunft auch nicht mehr hoch zu bringen.


    Genau so werde ich mich in Zukunft verhalten. Mir ist klar, dass ich keinen Anspruch auf die Hilfe meiner Nachbarn habe. Aber dann müssen sie lernen, dass sie sich auch nicht mehr auf mich verlassen können.



    kowai: Gerade im Umgang mit BÄ-lern lernt man, dass Menschen sich nicht unbedingt immer für eine Vorleistung revanchieren. Meine Eltern haben mir beigebracht, dass ich mich immer revanchieren sollte, wenn mir jemand bei etwas hilft, mir etwas schenkt oder in irgendeiner Hinsicht für mich da ist. So habe ich es gelernt und ich mache das auch wirklich gerne. Umgekehrt war es aber weitaus seltener der Fall, dass andere was für mich getan haben.


    Ich bin übrigens nicht sehr enttäuscht wegen dem Müll, denn ich habe keinen engen Bezug zu meinen Nachbarn, das sind keine nahestehenden Menschen. Aber wenn mir jemand echt nah ist, tut mir das schon weh.

  • Zitat von Sukramine

    Manche Menschen sind halt nicht so sensibel im Bezug auf andere Menschen und Ausgleich bzw. Gleichgewicht, dass man ihnen das leider immer wieder klar sagen muss.


    Damit habe ich leider keine guten Erfahrungen gemacht. Die Leute hatten das Gefühl, dass ich ihnen Vorschriften machen wollte und waren stinksauer.



    Zitat von Sukramine

    Aber ich glaube tatsächlich, dass Menschen so lernen, indem man etwas vorlebt.


    So habe ich auch mal gedacht. Z. B. hatte mein BA-Mann damals die Angewohnheit, sein ganzes Geld für seine Hobbys zu verprassen. Ich habe es aber in den 3,5 Jahren nicht ein einziges Mal erlebt, dass er einen anderen Menschen auf ein Getränk eingeladen hat. Anfangs dachte ich es hätte an seiner Schüchternheit gelegen, dass er immer schwieg, wenn die Bedienung uns "Die Rechnung zusammen oder getrennt?" fragte. Ich finde es nicht schön, wenn man mehrere wundervolle Treffen hatte und trotzdem jedes Mal getrennt bezahlt wird, auch wenn die Ausgaben sehr gering sind. Also habe ich ihm einige Drinks spendiert und habe ihn auch sporadisch von meinem Essen kosten lassen. Er ließ sich auch immer wieder gerne von seinen Kumpels was spendieren, aber ich habe es noch nie gesehen, dass er einen von ihnen eingeladen hat. Irgendwann habe ich damit aufgehört, weil ich mich ausgenutzt fühlte. Ich habe das Thema in seiner Gegenwart niemals erwähnt. In der Vergangenheit hatte ich gute Freunde, die genauso drauf waren wie er. Als ich die mit dem Thema konfrontiert habe, waren sie total beleidigt, und das war der Anfang vom Ende unserer Freundschaft.


    Mittlerweile lasse ich Menschen, der sich als egoistisch und rücksichtslos entpuppen, nicht mehr so nah an mich ran. Meiner Erfahrung nach bringt es nichts, ihnen das Gegenteil vorzuleben oder sie offen auf ihr Verhalten anzusprechen.

  • Stimmt, die waren sauer, weil ich ihre wunden Punkte getroffen hatte.



    Ich habe das Thema Bezahlung bei ihm nicht direkt angesprochen. Einmal holte ich 2 Cider (da waren wir in UK) am Bahnhof. Als er mir danach das Geld für seine Dose geben wollte, sagte ich: "Ist schon okay, lass´ stecken. Ich weiß ja nicht wie du das siehst, aber ich finde es viel schöner, wenn man gemeinsam bezahlt als getrennt." Er nickte nur kurz, sagte aber kein Wort dazu. Dann stießen wir miteinander an.


    Ich erwarte sicher nicht für jedes einzelne Getränk, das ich ausgebe, eine Gegenleistung. So schlimm bin ich echt nicht drauf *g*. Damals hatte ich ein viel niedrigeres Gehalt als heute. Der Mann hatte wesentlich mehr Geld zur Verfügung als ich. Deshalb hat mich das so gefuchst, dass er sich von mir einladen ließ, mich aber im Gegenzug niemals eingeladen hat. Mein letzter offizieller Freund verdiente weniger als ich. Ihm habe ich gerne öfters etwas spendiert. Mir ist es wichtig, dass man gemeinsam Zeit verbringt. Und wenn mein Partner weniger Geld hat als ich und deshalb nichts mit mir unternehmen kann, dann lade ich ihn eben ein, damit wir zusammen was machen können. Dem BÄ-ler waren seine Hobbys/materielle Dinge grundsätzlich wichtiger als gemeinsame Freizeit mit mir.