Bindungsangst und Gaslighting

  • Hallo liebes Forum!

    Ich bin neu hier und eigentlich nur deshalb auf das Thema Bindungsangst gestoßen, weil ich letztes Jahr eine sehr traumatische Trennung nach langjähriger Beziehung erlebt habe. Die Aufarbeitung hat mich darauf gebracht, dass mein Ex wohl ein ziemlich großes Bindungsproblem hat. Das war mir während der Beziehung aber nie bewusst - ist ja scheinbar ein häufiges Phänomen, wenn ich mich hier so umschaue.


    Nun soll es aber gar nicht um meinen Ex gehen, sondern um die Auswirkung die meine Erkenntnisse auf die Wahrnehmung meines Freundeskreises hatten. Ich bin selbst ein eher gefühlsbetonter, offener Mensch und suche in Beziehungen nach echter Verbindung. Bevor ich angefangen habe, mich mit den Hintergründen für meine eigenen Muster auseinanderzusetzen, dachte ich immer, ich bin irgendwie komisch. Einfach weil die absolute Mehrheit meiner Freunde kein sicheres Bindungsverhalten an den Tag legt. Ich bin immer schon mit viel Ambivalenz konfrontiert gewesen. Das hat mir oft das Gefühl gegeben, es sei nicht normal, eine gewisse Verlässlichkeit bei anderen Menschen zu erwarten/angemessen zu finden. Ich habe dann meist versucht, mich an die anderen in dieser Hinsicht anzupassen, was mich aber natürlich unglücklich gemacht hat. Gesunde Grenzsetzung ist hier für mich mit Sicherheit ein Thema.

    Viel von dem, was ich jetzt durch die Trennung gelernt habe, war ein bisschen Erleuchtung für mich. Ich versuche gleichermaßen, meinen eigenen Anteil an problematischen Situationen zu sehen als auch das Verhalten des jeweils anderen. Das ist aber natürlich oft wirklich schwierig. Der berühmte gesunde Mittelweg.

    Jüngst gab es nun ein Erlebnis mit einem alten Freund, den ich als ausgesprochen bindungsängstlich einordnen würde. (Ich kenne ihn noch aus der Schulzeit und bin daher auch mit seinem familiären Hintergrund vertraut.) Es war schon seit Jahren schwierig, mit ihm auf Augenhöhe zu kommunizieren. Er hat diese Tendenz immer ein wenig über den Dingen stehen zu wollen, um sich ja nicht angreifbar zu machen. Früher war das mal ganz anders, aber bestimmte Erlebnisse in seinem Leben führten zu dieser Entwicklung.

    Wir hatten ein ungewöhnlich harmonisches Treffen mit tiefgründigen Gesprächen und ohne Sticheleien und Machtspielchen. Ich war hinterher komplett erstaunt darüber, wie angenehm und schön das war. Auf dieses Treffen folgte ein recht intensiver schriftlicher Austausch, der damit endete, dass er mir einfach von sich aus viel über sein Verhältnis zu sich selbst und seinen Gefühlen erzählte. Es gab auch viel Wertschätzung für mich. Ich glaube, ich habe ihn seit 10 Jahren nicht mehr so offen und emotional erlebt. Es war schon sehr speziell und besonders. Da ursprünglich danach ein weiteres Treffen geplant war, wollte ich bei dieser Gelegenheit angemessen auf seine Äußerungen eingehen. Ich empfand die überraschende Offenheit als Vertrauensbeweis, den man entsprechend wertschätzen sollte. Nun kam es aber aufgrund von Krankheit (bei mir) nicht zum Wiedersehen.

    Danach folgte der Shutdown seinerseits. Nur noch einsilbige kühle Antworten. Die Überheblichkeit war zurück. Wochenlange Funkstille. Am Telefon wurde ich nach einer Minute abgewürgt. Ich war sehr zurückhaltend und meldete mich nur selten, aber das hatte keinen Einfluss.

    Ich sah also irgendwann ein, dass das keinen Sinn hatte. Trotzdem wollte ich das, was er mir anvertraut hatte, nicht einfach so im Raum stehen lassen. Ich schrieb ihm also noch einmal und setzte sanft aber klar eine Grenze für das, was ich in einer Freundschaft verhaltensmäßig toleriere. Gleichzeitig versuchte ich trotzdem empathisch zu sein und ging wertschätzend und mit Verständnis und Interesse auf alles ein, was er mir von sich erzählt hatte.
    Ich schloss mit guten Wünschen und dem Angebot, offen zu sein, falls er mal wieder Gesprächsbedarf hätte. (Das hätte ich vermutlich nicht getan, wenn ich ihn nicht schon sooo lange kennen würde.)
    Ergebnis war wenig überraschend eine überheblich-distanzierte Reaktion. Keinerlei Wertschätzung oder Reflexion mehr. Das, was mir aber daran wirklich zu denken gegeben hat: Ich habe mich regelrecht von ihm gegaslighted gefühlt. Ich hatte sehr darauf geachtet, an keiner Stelle in meiner Nachricht irgendetwas zu unterstellen, dazuzudichten oder ähnliches. Zusätzlich habe ich meine Wahrnehmung grundsätzlich aus der Ich fühle mich-Perspektive beschrieben. Trotzdem wurde mir gesagt, ich hätte ihn in meinem Text als Eisklotz dargestellt und dass er absolut nicht verstehen kann, wie ich auf solche Dinge komme. Außerdem wäre er aus seiner Sicht kein bisschen abweisend gewesen. Ich habe mich am Ende wirklich gefragt, ob er sich selbst eigentlich noch daran erinnern konnte, was er mir geschrieben hatte. Denn die Sachen, die ihn so schockierten, kamen ja ursprünglich von ihm - ich hatte nur darauf reagiert. Es war, als hätte man mit zwei verschiedenen Menschen zu tun.

    Ich habe im Gespräch sehr gemerkt, wie ich trotz meiner Entwicklung der letzten Monate wieder in das alte Muster verfalle, meine eigene Wahrnehmung komplett in Frage zu stellen. Es fällt mir dann super schwer, bei mir zu bleiben und mich nicht verunsichern zu lassen. Im Nachhinein kann ich das gar nicht mehr verstehen, denn ich habe ja alles schwarz auf weiß, habe den move lange durchdacht und halte ihn eigentlich weiterhin für logisch und angemessen.

    Hat jemand von euch solche Gaslighting-Momente auch schon erlebt? Ist das etwas Typisches für Menschen mit Bindungsproblemen? Wird leise Kritik da schon als übergriffig empfunden? Ist das so á la "Oh Gott, jetzt hab ich zu viel von mir preisgegeben und muss so weit wie möglich zurückrudern"?

    Fällt es euch auch schwer, damit umzugehen ohne euch verunsichern zu lassen?
    Ich finde diese Phase in meinem Leben, in der ich mich vielen Menschen gegenüber neu positioniere gerade gleichermaßen anstrengend und spannend....

  • Hallo,


    ich lasse mich auch von Menschen, die dominat und emotional verhärtet sind verunsichern. Habe gestern noch "Vom Jain zu Ja" von Stefanie Stahl gelesen.

    Im Grunde wiederholen sich in solchen Situationen meine Kindheitserlebisse.


    Ich bin halt ein Beziehungsmensch und kann schwer loslassen. Daher schwingt da immer ein wenig Hoffnung mit, der andere wird sich ändern.


    Ich würde behaupten, man ist nicht unbedingt empfindlich, sondern zu bindungswillig und es fällt schwer die Distanz hinzunehmen.


    Ich übe mich darin bindungswillige Menschen zu erkennen und langsam zu unterscheiden, wo lohnt es sich Nähe zuzulassen, und wo ist eine gesunde Distanz angebracht.


    Versuch dich auf dein Leben zu konzentrieren und ein Gefühl für Beziehungsmenschen zu entwickeln.


    Hoffe, ich habe deine Frage richtig verstanden.


    Alles Gute

    JadeSledge