Hi Annerike.
Du beschreibst hier sehr genau die Situation, mit der man dann nach so einer „Beziehung” stehen gelassen wird und mit welch erheblichen Schwierigkeiten man bzgl. Verarbeitung und (erfolgreichem) Trauerprozess konfrontiert wird:
Was ich auch bestätigen kann: Die Erkenntnis, dass er eigentlich ein bedauernswerter Mensch ist, der sich selbst im Weg steht und sich selbst und nicht nur mir das Glück zerschlagen und die Liebe verweigert hat, hält bei mir nicht nur die Liebesgefühle und die Verletzung am Leben, sondern auch das Mitgefühl für ihn, die Sorge.
Und wenn ich mir immer wieder vor Augen halte, wie mies er sich verhalten hat und dass ich ihm daher nicht nachtrauern muss, springt sofort wieder der Rechtfertigungsmodus an. Ach, der Arme, letztlich kann er doch nichts dafür, nicht so richtig jedenfalls, er ist kein böser Mensch, er hat aus Angst um sich geschlagen, er ist seiner Bindungsangst ausgeliefert , vor allem solange er nicht selbst erkennt, dass auch er Hilfe braucht.
Es ist diese innere Zerrissenheit, dieser eigene Zwiespalt. Einerseits erlebt man heftige Verletzungen, andererseits erkennt man durch mehr Wissen darüber, wie traumatisiert diese Menschen eigentlich sind. Hier behindert dann Mitgefühl und Verständnis für diese Person den eigenen Heilungsprozess. Man erlebt sich selbst dann auch wie hin- und hergerissen, die eigenen Gefühle wechseln, es ist auch danach noch eine innere Achterbahnfahrt. Der Kopf sagt, ja, es ist doch irgendwie verständlich, das Herz sagt, nein, es ist/war eine Sauerei Das ist dann wie ein innerer Kampf.
Ich denke, es ist wichtig, dass man sich beides gestattet. Man muss wohl beidem Raum geben und zwar ohne, dass das eine das andere relativiert oder neutralisiert. Üblicherweise versucht der Kopf dem Gefühl zu erklären, ja, aber, derjenige kann doch auch nichts dafür und das Gefühl verurteilt den Kopf nicht genügend im Schmerz gesehen zu werden. Wenn man diesen Prozess, der sich da in einem abspielt erkannt hat, wird es etwas leichter. Im Grunde braucht man einen inneren Vermittler, einen Mediator, der beiden sagt, ja, ihr habt beide absolut recht. Diesen Posten kann tatsächlich dann der eigene Verstand übernehmen. Denn unser Verstand hat die Fähigkeit, diesen Prozess in sich zu erkennen. Hierzu ist ein dann etwas mehr Selbstbeobachtung nötig. Was ist gerade aktiv? Wut, Ärger, Enttäuschung, Kränkung, Fassungslosigkeit? Ok, dann gebe ich dem jetzt mal bewusst Raum. Möglicherweise kommt genau dann aber der Kopf und sagt, halt Moment mal, Du kannst doch jetzt nicht so extrem diesen Gefühlen Raum geben, Du weisst doch, weswegen das so ist! Du musst mehr Mitgefühl haben!
In dem Moment wird das eigene „Herz” ja wirklich auch verunsichert. Aus Mitgefühl soll es seine eigenen Verletzungen hinten anstellen? Und das, obwohl es selbst gerade Mitgefühl benötigt? Hm... ? An der Stelle kann man gut eigene Glaubensmuster aufdecken. Bin ich kein guter, liebenswerter Mensch, weil ich kein Mitgefühl habe? Verbiete ich es mir deshalb? Stelle ich meine eigenen Bedürfnisse hinten an, weil ich sonst Gefahr laufe, abgelehnt zu werden? Die Möglichkeiten sind hier natürlich breit gefächert, dies hier ist z.B. etwas, was ich in mir gefunden habe.
Hier liegt im Grunde das Potential der eigenen Entwicklung. Der Fokus geht weg vom „BÄ”, hin zu sich selbst. Und hier findet dann auch Erleichterung statt. Denn hier hat man dann wieder die Möglichkeit Einfluss zu nehmen. Es ist nicht mehr dieses Gefühl der Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Achterbahnfahrt... denn es sind die eigenen Glaubensmuster, die das in einem auslösen.
Ich halte es so, dass ich versuche, jedem (einzeln) seinem Raum zu geben. Versuche zu beobachten, wann das eine das andere aushebeln möchte und vor allem: weswegen. Ist der innere Prozess erkannt, kann ich es einigermassen organisieren, es hintereinander ablaufen zu lassen und nicht parallel. Es gibt also Zeiten für Wut und Ärger und es gibt Zeiten für Mitgefühl und Verständnis. Eins nach dem anderen. Gelingt mal gut, mal nicht, aber auch das ist ok.
....und dennoch denke ich häufig darüber nach, ihn nochmals zu kontaktieren, um ihm klarzumachen, was er für ein Katastrophengebiet hinterlassen hat, dass ich ihn liebe und er mir hundertprozentig hätte vertrauen können...
Diesen Impuls habe ich auch. Wobei es bei mir ein bißchen anders ist. Ich habe nicht mehr das Bedürfnis, meiner BÄ klarmachen zu müssen, dass sie mir zu 100% hätte vertrauen können... das liegt aber vielleicht auch daran, dass mir schon zu Zeiten der „Beziehung” klar war, ich hab das Problem nicht. In meinem Fall stand das Thema Bindungsangst schon im Raum, es war nur unklar, wie sehr es ihr bewusst ist oder nicht. Man kann sagen, es gab hier schon sowas wie eine Art Selbstdiagnose. Die ich im Nachhinein eigentlich nur bestätige. Ich weiß aber aus Erfahrung, es ist wesentlich schwieriger, wenn der/die Partner/Partnerin die „Diagnose” stellt. Hier hat man oft das Bedürfnis, die/der andere möge doch bitte einsichtig sein. Bitte erkennen, dass nicht ich das Problem bin, sondern eben die/der Betroffene. Möglicherweise ist es das, was Dich da von innen antreibt. Die Gewissheit, bzw. Bestätigung von Aussen, die Du bräuchtest, um Dir wirklich (!) sicher sein zu können, Du hast Nichts falsch gemacht... solange das ausbleibt, nimmt der innere Kritiker die fehlende Bestätigung gerne zum Anlass einen zu verurteilen und fertig zu machen... auch hier findet man durchaus interessante Glauben-/ und Verhaltensmuster die gerne mit Opfer- und Täterrolle zusammenhängen... in solchen „Beziehungen” wechselt man ja oft die Rollen: vom Retter zum Täter. Hierzu gibts unter dem Begriff „Drama-Dreieck” mehr Infos... hat mir persönlich die Augen geöffnet und weiter geholfen...
Liebe Grüße