Hallo Ratsuchend!
Zitat von RatsuchendMeine Mutter hat mir schlimme Dinge erzählt, die eine Frau normalerweise keinem Mann erzählt. Und plötzlich war es mir, als liege ein offenes Buch vor mir. Ich verstand plötzlich ALLES. Warum sie so war, wie sie war. Warum sie nicht anders sein konnte.
Ich finde das so enorm wichtig, dass ihr darüber reden konntet. Und nichts könnte es Schlimmeres geben, als dass es da Tabus gäbe, man spräche nicht darüber - die Sprachlosigkeit ist Teil, schlimmer Teil des Ganzen. Es mag sehr hart sein, aber wie sonst soll ein Vertehen und damit ein gutes Miteinander möglich sein? Du schreibst sehr treffend, dass Du plötzlich ALLES verstanden hast. Es gibt nur die Chance darüber zu reden. Ich meine damit nicht, überall und jedem davon zu erzählen, aber da, wo es vom Thema her hingehört und / oder mit den Menschen, mit denen der Kontakt näher ist. Ich habe über ganz, ganz viele Jahre absolut niemandem etwas erzählt aus meiner Kindheit. Dann in der Therapie und es war irre schwer. Heute sage ich es als Fakt überall dort, wo es für mich hingehört, weil man versucht zu verstehen, was der andere erfuhr, um ihn heute besser zu verstehen - da ist bei mir auch kein Ohnmachtsgefühl mehr da wie früher, sondern es ist für mich ganz normal, auch diesen Teil aus meinem Leben nicht auszuklammern. Wirklich viel erzähle ich aber nur zwei, drei Menschen, die mir sehr nah stehen.
Zitat von RatsuchendIch und meine Geschwister hatten Körperkontakt mit ihr, als sie den letzten Atemzug tat. Ich hatte das Empfinden, sie würde abgeholt. Ich sagte zu ihr, wir lassen dich nun gehen, du wirst erwartet. Wenige Minuten später hörte sie sanft auf zu atmen. Es war, als stünde die Zeit still. Der Raum war wie von Energie erfüllt. Ich kann nicht alle meine Empfindungen schildern, weil es auch als Spinnerei abgetan werden kann - aber wir alle hatten das gleiche Empfinden. Wir alle haben in dem Moment die Angst vor dem Tod verloren. Wir hatten kurz vor und nach ihrem Tod Dinge erlebt, die im Nachhinein Sinn machen. Der Tod hatte sich still angekündigt. Vom Alter war er zu erwarten gewesen, aber so plötzlich dann doch nicht. Rückblickend hatte ich ähnliche Erfahrungen kurz vor dem Tod nahestehender Menschen und Tiere - ich denke, das hat wirklich was mit meiner Empathie zu tun. Und dies wird mir immer deutlicher. Glücklicherweise ist mein Therapeut diesbezüglich sehr aufgeschlossen, da er auch Hospizbetreuung macht.
Ich halte besondere Erfahrungen, die mit dem Sterben oder dem Tod zusammenhängen, keinewegs für Spinnereien, sondern glaube, dass Menschen gerade in Extremsituationen etwas erfahren können, was sonst über die steuerbaren Gedanken und Empfindungen nicht möglich ist (außer z. B. wenn Menschen sich beispielsweise durch Meditation in einen besonderen Zustand versetzen können).
Dass Du gemeinsam mit Deinen Geschwistern Abschied von Deiner Mutter nehmen konntest und Ihr als engste Familie so nah beisammen gewesen seid, das ist sicherlich sehr prägend und ich kann die tiefe Ruhe erahnen - gerade auch, wenn Du so viele mit Deiner Mutter hast in den Jahren zuvor besprechen können und Du sie verstehen konntest, aber auch erleben, wie ruhig sie von dieser Welt gehen konnte. Dass es Dir Deine Angst genommen hat, das finde ich bewegend.
Zitat von RatsuchendMein Muster der VA war gekoppelt mit einem Helfersyndrom - so dass ich mir das Leid anderer Leute, mir nahestehender Leute "gern" zu eigen machte. Auch davon konnte ich mich etwas lösen.
Ich möchte dahin kommen, dass ich meine Empathiefähigkeit behalte, dabei aber gleichmütig, gelassen - nicht gleichgültig - bleibe. Bislang habe ich mich zu sehr in Leid ziehen lassen. Der Anfang ist gemacht.
Finde ich eine gute, gesunde Einstellung von Dir: Mitmenschlichkeit und dabei auf die eigenen Grenzen und Kräfte zu achten.
Zitat von RatsuchendUnd es ist nicht so, dass ich denke, gut, dass meine Mutter tot ist. Nein, ich vermisse sie. Aber erst durch ihren Tod konnten wir Kinder Dinge in uns erkennen und auflösen. Spät zwar, aber nicht zu spät. Und ich bin an diesen Dingen gereift, wie mir einige Leute gesagt haben.
Ich verstehe schon, wie Du das meinst. Es ist traurig einen geliebten Menschen von dieser Welt gehen lassen zu müssen und es fällt einem immer wieder noch etwas ein, was man mit demjenigen gern getan hätte zusammen, erzählt oder gefragt hätte und es ist nur noch in Gedanken möglich. Doch zugleich steht weder ein Zorn auf etwas, was derjenige tat noch eine Ohnmacht darüber, was andere dem Menschen taten im Weg bei liebevollen Erinnerungen an den Menschen.
Zitat von RatsuchendIch hab' gut reden, denn ich habe das "schöne" Gesicht des Todes sehen dürfen. Ich bin mir bewusst, dass der Tod auch eine "hässliche" Seite hat - und damit ist natürlich kein einfacher Umgang möglich. Und ich habe schon als Säugling dieses "hässliche" Gesicht sehen müssen. Und habe 25 Jahre gebraucht, um es erlösen zu können in einem Traum, der bis dato ein Alptraum, ein immer wiederkehrender Alptraum war.
Wäre für deinen Freund eine Familienaufstellung sinnvoll? Hat er jemand, mit dem er darüber reden kann? Ich denke, das ist sehr wichtig, dass er damit nicht allein bleibt.
Der Tod eines Menschen kann sehr friedlich sein - so erlebte ich es bei meiner Großmutter. Er kann aber auch so grausam sein und wie soll man dann je begreifen, warum der Mensch sterben musste und je wieder Vertrauen bekommen zu Menschen, außer zu Einzelnen? Mein Freund und ich, wir mussten beide (unabhängig voneinander) diese schreckliche Erfahrung machen.
Von Familienaufstellung halte ich nichts. Davon habe ich schon zu viele Menschen seelisch abklappen sehen. Ich denke, es ist nicht die Stabilisierung dabei, die bei solch einer Konfrontation mit der Familiensituation nötig wäre.
Er erzählte nur Teile vor anderen. Mir deutlich mehr, aber auch da konnte er über vieles noch nicht erzählen.
(Ich habe hier einiges wieder gelöscht - ist mir in einem öffentlichen Forum, in dem ich nicht weiß, wer mitliest, nicht geheuer.)
Liebe Grüße
Mawa