Bindungsangst und Beziehung

  • Hatte jemand eigentlich schon den gleichen Gedanken?


    Wenn jemand an Bindungsangst leidet, könnte es ja DAS Anzeichen dafür sein, dass man im Moment gar keine Beziehung haben sollte?
    Ist es nicht ein Zeichen dafür, dass man gerade ein anderes, sehr ernstes Problem/Blockade hat, mit der man sich erst mal beschäftigen sollte, bevor man es versucht, eine Bindung anzugehen?
    So wie wenn man plötzlich eine Milchunverträglichkeit bekommt. Da würde man ja auch nicht versuchen mehr Milch zu trinken, in der Hoffnung, dass sie weggeht. Man würde versuchen die Ursache dafür zu finden und diese zu behandeln. Entweder geht es danach weg, oder man ist gezwungen es zu akzeptieren, und auf Pflanzenmilch umzusteigen.


    Genau so scheint es mir mit der BA zu sein. Man sollte versuchen erst die Ursache zu beseitigen, und eben nicht krampfhaft an einer Beziehung festhalten.


    Das gilt vor allem für Partner: Wenn man merkt- der/die Neue hat BA, sollte man sich da nicht fairerweise zurückziehen und eigene Erwartungen an die Beziehung runterschrauben?

    Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen.
    Nach der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen.

  • hallo olivia,


    eine sehr gute frage.


    das problem, das ich dabei sehe, ist, dass ohne eine beziehung viele der angstauslösenden situationen gar nicht vorhanden sind.
    ich bin erst, als ich eine einigermassen nahe beziehung eingehen wollte überhaupt auf meine verlustangst gestossen und habe gemerkt, dass ich da meine baustellen habe.
    ohne beziehung war das dann überhaupt kein thema mehr und die motivation, mich damit zu beschäftigen, weit geringer.
    ich habe es dennoch getan und sicher viel über mich gelernt. in der theorie.
    in der praxis nicht wieder in die alten verhaltensweisen zu rutschen ist aber ungleich schwieriger und lässt sich, denke ich, nur in einer beziehung "üben".


    das das nicht immer fair ist dem partner gegenüber ist klar.


    und ein weiteres argument: wenn ich höhenangst habe (und die habe ich tatsächlich), dann besteht meine therapie dagegen ja auch nicht darin, höhe zu meiden. im gegenteil, ich muss mich der angst stellen und mich mit situationen konfrontieren, in denen die höhenangst auftreten könnte. in meinem beispiel sieht das so aus, dass ich (in der halle) klettern gehe und es mittlerweile gut schaffe, in 17m höhe unter der decke zu hängen, ohne angst zu haben.


    nur so meine gedanken dazu....


    liebe grüsse


    zahir

    Spock: You mistake my choice not to feel as a reflection of my not caring, while I assure you the truth is precisely the opposite.
    (Star Trek Into Darkness)

  • Ich sehe das grundsätzlich ähnlich wie zahir, ohne die direkte Konfrontation mit den Ängsten kann man den Umgang mit ihnen nur sehr schwer üben. Man könnte ja auch gar nicht gegenchecken, ob die "Trockenübungen" die man evtl. gemacht hat überhaupt helfen. Möglicherweise war es ja noch nicht die passende Methode für einen selbst?
    Eine Isolation von "riskanten" Nähesituationen alleine kann daher wohl nicht die Lösung sein. Zumindest kann ich es mir nicht vorstellen.


    Wo ich dir aber zustimme Olivia ist, dass ich es mir gleichzeitig nicht als zielführend vorstellen kann, dass man als Partner an der Beziehung wie man sie idealer Weise haben möchte festhält. Nähe zum anderen müsste meiner Einschätzung nach zunächst einmal unter den Konditionen des Bindungsängstlichen bzw. mit auf Augenhöhe abgesprochenen Kompromissen erfolgen. Und wenn er seine Ängste dann etwas abgebaut hat, kann man eben schauen was der nächste Schritt sein könnte.

  • Hallöchen!


    Ist es nicht eigentlich erstmal wichtig, dass überhaupt die Einsicht da ist?


    Ich weiß zwar nicht genau, was meine Verflossene wirklich üner "ihr Problem" weiß. Aber nach meiner Ansicht weiß sie, dass es mit Beziehungen ständig nicht klappt, sucht den Grund dafür aber nicht unbedingt bei sich selber. Sie schrieb mir mal ganz kurz nach unserem Kennenlernen "Ich werde bald so wie ihr Männer...", sagte aber zum Ende auch mal "Ich wusste, dass so etwas wieder passieren könnte...".


    Irgendwie scheinen da in ihr nicht die richtigen Prozesse abzulaufen.


    Und was dann passiert, ist das, was zu lesen ist: Der ehemalige Partner (der ja für kurze Zeit der beste der besten Menschen war) war dann eben doch nicht der Richtige... aber der Nächste, der ist es dann... und so weiter und so weiter...


    Eigentlich müsste man die Menschen mit der Nase in den Dreck stecken, den sie sich selber antun...

  • Zitat von Leuchtfeuer


    Irgendwie scheinen da in ihr nicht die richtigen Prozesse abzulaufen.


    Das siehst du genau richtig.


    Ich zitiere:
    Wie sollte ich dich in deinen Gefühlen und in deinem Wesen und in deinem Verhalten mir gegenüber begreifen, wenn ich meine eigenen Gefühle, die mein Verhalten steuern und mein eigenes Wesen nicht begriffen habe?

  • Natürlich, ohne Einsicht funktioniert gar nichts. Wer sich nicht mal eingestehen kann, dass da ein Problem existiert das bearbeitet werden müsste, der kann es auch nicht verbessern. Wenn da jemand permanent nichts an sich ändern möchte, dann ist es sicherlich nicht der richtige Weg die eigenen Beziehungsansprüche herunterzuschrauben, sondern eher empfehlenswert sich von der Idee einer Beziehung mit diesem Menschen komplett zu lösen.

  • ja, roca, da hast du ganz recht. ich sage immer männern, die ich kennenlerne, daß ich das geklammere nciht packe. wenn sie klammern wollen, sollen sie sich ein klammerndes gegenstück suchen. ich suche gezielt nach männern, die einen relativ großen freiheitsdrang haben oder selbst leichte ba, weil das dann eben passen könnte. wenn die bedürfnisse zu weit auseinandergehen, ist das nur schlecht für alle beide.


    und ich versuche für mich verhaltensweisen zu finden, wie man trotz ba eine beziehung hinkriegen kann, in der beide sich wohlfühlen. das setzt sicher auch bißchen probieren und experimentieren voraus. und kann auch immer mal wieder rückschläge und enttäuschungen geben, weil man sich überschätzt oder falsch eingeschätzt hat. das ganze hat nur ne chance, wenn beide partner viel drüber reden, und beide bereit sind, an sich und der beziehung zu arbeiten. kann teilweise mühselig und langwierig werden. ich habe jetzt auch in der theorie sehr viel für mich erarbeitet, rausgefunden. aber ob es in der praxis dann funktioniert, wird sich erst beim nächsten partner zeigen.

  • Ich glaube hier wird mein Ansatz wieder missverstanden.


    Meine Theorie ist, dass BA nur ein Symptom ist, und nicht das eigentliche Problem.


    Daher der Vergleich mit der Milch.
    Sich den Ängsten stellen, ist ein Ansatz. Dieser behandelt wieder nur das Symptom, nicht die Ursache.


    Wenn man Probleme mit Beziehungen hat, dann ist es eventuell ein Zeichen dafür, dass Liebesbeziehungen einem im Moment nicht gut tun.


    Klar, man leidet darunter, dass man keine Beziehung haben kann. Aber das ist eben nicht das, woran man arbeiten sollte.


    Daher passt hier die Argumentation mit den Trockenübungen, wie ich finde, nicht ganz.


    Trockenübung würde ja heißen, dass man sich genau auf das Problem der Beziehunhsunfähigkeit konzentriert, und nicht auf die tieferliegende Ursache dieser.


    Dieser Vergleich ist etwas krass, aber vlt. um so deutlicher:


    Stellen wir uns einen Menschen vor, der Krebs hat. Wie würden wir mit ihm umgehen?
    Variante A: wir versuchen seine Schmerzresistenz durch Autosugesstion und Analgetika zu erhöhen.
    Variante B: wir führen eine OP und Chemo durch, um die Ursache der Schmerzen zu beseitigen?


    Ich will darauf hinaus, dass die Schmerzen der BA gleichzusetzen sind.


    "Sich den Ängsten stellen" ist eine bewährte Form der Angsttherapie, meiner Meinung nach aber, wäre sie für jemanden mit BA nicht so gut geeignet, wie für jemanden mit Höhenangst. Denn Höhe ist eine konkrete Situation, höhe wird als solche wargenommen. Beziehungen sind dagegen komplexere Sachverhalte, da können wir nicht jederzeit untetscheiden: habe ich jetzt den Wunsch allein zu sein, einfach weil das ein Grundbedürfnis ist, oder weil ich gerade eine BA Attacke habe? Eine Beziehung und die Interaktionen innerhalb dieser verändern sich von Minute zu Minute, und so, müsste man permanent im Zustand der Selbstreflexion leben. Bei Höhenangst dagegen, nur zu den Zeiten, wenn ich mit der Höhe in Kontakt komme.

    Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen.
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  • Für mich ist meine BA/VA eine Angst wie jede andere meiner Ängste auch. Die anderen Ängste kommen ja auch nicht von der Sache an sich, sondern von irgendwas, das dahinter steckt. Also der Spinnen Phobiker zb. hat ja auch nicht Angst vor dieser winzigen Spinne direkt, da steckt was anderes dahinter. Deswegen muss er sich aber dennoch der Angst stellen, will er seinen Müll in den Keller bringen.


    Bei vielen Ängsten findet man die wirkliche Ursache auch gar nicht, so dass man die Ursache an sich gar nicht wirklich behandeln kann, sondern nur deren Folgen.
    So sehe ich das bei der BA auch.

  • Zitat

    Meine Theorie ist, dass BA nur ein Symptom ist, und nicht das eigentliche Problem.


    Stefanie stahl schreibt, daß ba eine echte angst ist. und das kann ich nur bestätigen, die angst ist sehr echt. Zumindest bei mir. ob es ein symptom ist, ist nur definitionssache, bringt aber den bä und seinen partner nicht weiter, diese wortklauberei.

    Zitat

    Dieser behandelt wieder nur das Symptom, nicht die Ursache.


    Ja, aber die ursache liegt ja meist in der kindheit. Meine kindheit kann ich nachträglich nicht ändern. Ein buch kann ich wegwerfen und neu umschreiben, aber nicht ein leben. ist wie wenn man bei nem autounfall ein bein verloren hat. Das kann ich nicht mehr rückgängig machen, ich kann nur versuchen, den verlust irgendwie auszugleichen. Also z. b. rollstuhl oder prothese. Klar kann ich den autounfall sehr genau anschauen, daß mir so was nicht noch mal passiert, und ich das 2. bein auch noch verliere. Aber ich werde nie mehr wieder im leben eine kindheit haben. Das ist gelaufen.

    Zitat

    Beziehungen sind dagegen komplexere Sachverhalte, da können wir nicht jederzeit untetscheiden: habe ich jetzt den Wunsch allein zu sein, einfach weil das ein Grundbedürfnis ist, oder weil ich gerade eine BA Attacke habe? Eine Beziehung und die Interaktionen innerhalb dieser verändern sich von Minute zu Minute, und so, müsste man permanent im Zustand der Selbstreflexion leben.


    Das stimmt. Ein zahnarzt- oder spinnenphobie läuft immer gleich ab. Das ist klar umrissen. Ba kann bei mir einmal körperliche krankheitssymptome auslösen, manchmal habe ich den wunsch, weglaufen zu wollen. Und ein anderes mal habe ich keins von beiden, aber mein unterbewußtsein steuert mein verhalten so, daß es höchst abschreckend auf den potentiellen partner wirkt. Ich kann manchmal nicht unterscheiden, ob mich der potentielle partner nervt, weil er ein idiot ist, oder eben nicht zu mir passt, oder eben ein ganz netter, und nur meine ba grad wieder spinnt. Fühlt sich oft verdammt gleich an. da schalte ich dann meinen verstand ein, der kann das dann eher erkennen.

    Zitat

    Für mich ist meine BA/VA eine Angst wie jede andere meiner Ängste auch. Die anderen Ängste kommen ja auch nicht von der Sache an sich, sondern von irgendwas, das dahinter steckt. Also der Spinnen Phobiker zb. hat ja auch nicht Angst vor dieser winzigen Spinne direkt, da steckt was anderes dahinter. Deswegen muss er sich aber dennoch der Angst stellen, will er seinen Müll in den Keller bringen.
    Bei vielen Ängsten findet man die wirkliche Ursache auch gar nicht, so dass man die Ursache an sich gar nicht wirklich behandeln kann, sondern nur deren Folgen.
    So sehe ich das bei der BA auch.


    Da gebe ich dir voll recht. Es wird bei ba nicht „die“ therapie geben, sondern je nach betroffenen müssen da sehr individuelle lösungen gefunden werden. Maßgeschneidert wie ein anzug, nicht von der stange oder standard.

  • hallo olivia,


    Zitat

    Ich glaube hier wird mein Ansatz wieder missverstanden.


    wieder?


    Zitat

    Wenn man Probleme mit Beziehungen hat, dann ist es eventuell ein Zeichen dafür, dass Liebesbeziehungen einem im Moment nicht gut tun.


    nein, das sehe ich ganz und gar nicht so.
    ich bin mir dir einig, das ba ein symptom ist, und die ursache dahinter ein geringes selbstwertgefühl.
    aber ich sehe nicht ein, warum man deswegen auf beziehungen verzichten soll, gerade wenn man an der ursache arbeitet.
    mir erschliesst sich der zusammenhang nicht.


    Zitat

    Trockenübung würde ja heißen, dass man sich genau auf das Problem der Beziehunhsunfähigkeit konzentriert, und nicht auf die tieferliegende Ursache dieser.


    nein, ich meinte damit durchaus auch trockenübungen im sinne des grundproblemes, nämlich dem selbstwert.
    ich kann mir im stillen kämmerlein tausend mal sagen, dass ich wertvoll und liebenswert bin, im gelebten alltag in beziehungen (seien es liebesbeziehungen oder familiäre) reagiere ich vermutlich ganz anders.


    Zitat

    Beziehungen sind dagegen komplexere Sachverhalte, da können wir nicht jederzeit untetscheiden: habe ich jetzt den Wunsch allein zu sein, einfach weil das ein Grundbedürfnis ist, oder weil ich gerade eine BA Attacke habe? Eine Beziehung und die Interaktionen innerhalb dieser verändern sich von Minute zu Minute, und so, müsste man permanent im Zustand der Selbstreflexion leben.


    wieso auch nicht? das leben ist irgendwie permanente selbstreflexion, gerade wenn man nicht reibungslos "funktioniert".
    und meiner meinung nach gehts auch genau darum bei ba: herauszufinden, was man wirklich selber möchte, und was von aussen herangetragene oder verinnerlichte erwartungen sind.


    fazit:


    gerade weil ba nur ein syptom ist, und die ursache in der selbstwert-thematik liegt, ist es nicht damit getan, auf eine paarbeziehung zu verzichten.
    das wäre dann auch nur symptombekämpung, und nicht lösung.


    liebe grüsse


    zahir

    Spock: You mistake my choice not to feel as a reflection of my not caring, while I assure you the truth is precisely the opposite.
    (Star Trek Into Darkness)


  • Krebs ist keine Phobie o.Ä., das Beispiel passt nun wirklich nicht. Idealerweise geben wir dem Krebspatienten etwas THC-haltiges, damit es ihm (falls es anschlägt) leichter fällt mit dem Schmerz umzugehen, ohne dass der Schmerz einfach nur unterdrückt wird. Weiterhin ist eine Phobie immer nur Symptom und nicht das eigentliche Problem. Das ist kein Unterscheidungsmerkmal zwischen Höhenangst und Bindungsangst. Und solange jemand keiner Beziehung ausgesetzt ist hat derjenige ja auch keine Symptome, genau wie bei Höhenangst. Sobald jemand mit Höhenangst sich wünscht, etwas in großer Höhe zu machen (vielleicht gibt es dort einen interessanten Job etc.) befindet er sich in einer vergleichbaren Situation wie der BÄ'ler, welcher einen interessanten potentiellen festen Partner findet. Also ich finde, man kann es eher ein wenig mit Höhenangst vergleichen und mit Krebs absolut garnicht.