Bindungsangst als Ausrede?

  • Hallo, in die Runde,


    gerade eben stieß ich bei Facebook auf eine wiederholt geäußerte Aussage, wenn sich jemand nicht meldet usw., dann will er nicht. Alles andere wären Ausreden.


    Vor dem Hintergrund meiner leidvollen Bindungserfahrung, die ich immer noch in einer Therapie bearbeiten muss, kam mir natürlich sofort in den Sinn:

    Wenn jemand den Kontakt abbricht, weil er die Nähe und Liebe nicht aushalten kann, sich aber im weiteren Verlauf nicht gleichgültig, sondern eher ambivalent verhält usw. (ihr wisst, wovon ich rede), dann ist es Bindungsangst und damit eine Störung und keine Ausrede.

    (In meinem persönlichen Fall hat der Mann gar nicht erst von BA gesprochen, diese also schon mal selbst nicht als Ausrede gebraucht. Er wird sich dessen gar nicht bewusst sein. Eher sucht er die Schuld bei mir und sieht sich vermutlich als Opfer.)


    Ich reagierte lapidar. Es sind nicht nur Ausreden. Es gibt beispielsweise Bindungsangst!

    Darauf folgte, dass aber ein Hinterherrennen trotzdem nicht zielführend wäre, dass es nicht glücklich mache und dass die betroffene Person die Dinge selbst erst einmal erkennen und sich professionelle Hilfe suchen müsse.

    Das konnte ich komplett unterstreichen. Ich erwähnte zudem, dass die ganze Geschichte daher besonders schmerzvoll für mich wäre usw. (Liebe und Anziehung waren mit Sicherheit ja da, aber die Angst zu groß.)

    Jemand anderes warf ein, dass dann aber trotzdem nicht genug Interesse da wäre an mir, sonst hätte er alles daran gesetzt, seine Angst zu überwinden. Ich solle keine Ausreden suchen, sondern lernen zu sagen, er will einfach nicht. Und ich würde in einer Scheinwelt leben... . Hat mich ganz schön getriggert und gekränkt.


    Meine Frage: Es setzt doch erst einmal voraus, dass man überhaupt erst mal das Problem in sich erkennt und für die harte Wahrheit bereit ist. Solange das nicht geschieht (und die meisten BÄ verschließen die Augen davor), denkt man doch, dass es an dem Gegenüber liegt, man ist enttäuscht usw und distanziert sich. Wenn man denkt, der (potentielle) Partner hat etwas falsch gemacht, kämpft man als BÄ doch gar nicht, sondern wendet sich verletzt ab. Das hat doch mit der Intensität der Liebe nichts zu tun?!


    Im Gegenteil. Meine Therapeutin sagt mir in etwa: Je größer die Liebe, desto größer die Angst.

    Das bindungsängstliche Prinzip bedeutet: Ich begehre etwas (bzw. jemanden), wünsche mir die Bindung ganz intensiv, aber wenn ich es dann haben kann, macht es mir gleichzeitig so große Angst, dass ich fliehen muss.

    Wenn ich aber noch nicht erkannt habe, dass ich gar nicht vor meinem Gegenüber ausreiße, sondern vor mir selbst und meinen eigenen Gefühlen, dann kann ich logischerweise nicht um die Liebe meines "Partners" kämpfen.


    Wie ist eure Meinung bzw. wie sind eure Erfahrungen?

    Einen Bindungsängstler kann ich hierzu ja nicht befragen in diesem Forum, denn wer hier ist, hat ja mindestens die erste Hürde genommen (Selbsterkenntnis) und ist wahrscheinlich auch kein so "schwerer Fall", oder?


    Liebe Grüße

  • Liebe Annerike,

    Dein Text liesst sich etwas verwirrend. Ich kann nicht so klar erkennen, wer was gesagt/getan hat...


    Es geht also um den Gebrauch von Ausreden?

    Vielleicht wäre es ganz sinnvoll, hier einige Ausreden zu formulieren, denn so aus dem Stehgreif kann man nicht sagen, ob es Bindungsangst ist oder nicht. Dafür ist das alles ja viel zu komplex... und ambivalents Verhalten muss ja auch nicht gleich ein Indiz für Bindungsangst sein.


    Jemand anderes warf ein, dass dann aber trotzdem nicht genug Interesse da wäre an mir, sonst hätte er alles daran gesetzt, seine Angst zu überwinden.

    Wenn es sich um einen BÄ handelt, dann ist das plötzliche fehlende Interesse schon eine Reaktion aus der Bindungsangst. Derjenige der das so formuliert hat, kennt sich dann mitunter nicht mit den BA-Strukturen aus. Diese Angst wird nicht als Angst empfunden und kann dementsprechend auch nicht „überwunden” werden...

    Das bindungsängstliche Prinzip bedeutet: Ich begehre etwas (bzw. jemanden), wünsche mir die Bindung ganz intensiv, aber wenn ich es dann haben kann, macht es mir gleichzeitig so große Angst, dass ich fliehen muss.

    Das ist theoretisch das Prinzip, ja. Aber ein BÄ empfindet das so nicht. Die „Angst” drückt sich u.a. in Form von allgemeinem Unwohlsein, Gefühl des Freiheitsverlustes, verschwundene Gefühle, etc. aus und das löst automatisch, ganz unbewusst, den Fluchtreflex aus. Aus dem Grund ist es auch nicht ganz leicht in sich selbst Bindungsangst zu orten und sich dessen bewusst zu werden...

    Wenn ich aber noch nicht erkannt habe, dass ich gar nicht vor meinem Gegenüber ausreiße, sondern vor mir selbst und meinen eigenen Gefühlen, dann kann ich logischerweise nicht um die Liebe meines "Partners" kämpfen.

    Indirekt ja, aber so einfach ist es eben nicht. Dahiner stecken tief verankerte Verlustängste und man läuft nicht einfach so vor seinen Gefühlen weg... vielmehr ist es diese Angst, die einen von innen heraus unbewusst steuert und man hat da als Betroffene/r nur schlecht Zugriff, bzw. Einfluss darauf. Ursache sind oft traumatische Erfahrungen in der Kindheit.


    Du findest hier viele persönliche Geschichten und Infos, lies doch ein bißchen quer.

  • Puh, interessanter Gedankengang. Den habe ich auch schon sehr oft und ich gehe auch noch ein Stückchen weiter- was ist noch Bindungsangst, und was ist pures Desinteresse bzw. dazu auch schon ( und ich entschuldige mich für diesen Wortlaut!!!) „charakterloses Arschlochverhalten“?


    Dazu muss ich etwas ausholen, bei mir ist die „Trennung“ (Beziehung wollte er es ja nie nennen) Jetzt etwas über ein Jahr her. Sonst war es das typische On Off, meist ging es so ca. 6 Wochen gut, dann wurde ich aus dem Nichts immer wieder geghostet, ignoriert und versetzt. (Wir arbeiten im selben Betrieb, sehen und jeden Tag, selbst da wurde mir die kalte Schulter gezeigt und ich einfach ignoriert). Jedes Mal bin ich wie ein Hund hinterhergelaufen, als er dann (meist so ein halbes Jahr später) wieder zugänglich war, war er erleichtert, dass wieder alles „gut“ ist, hat geschworen, dass wir beim nächsten mal miteinander reden, es besser machen usw, bis das Spielchen nach ein paar Wochen von neuem begann und alles, was vorgenommen wurde nichts mehr wert war. Bis ich dann, beim nächsten Ghosting sagte „Dann lassen wir es jetzt ganz!“

    Und das ist jetzt über ein Jahr her. Ich hab ihm ein paar Wochen später noch mal geschrieben, ob wir uns nicht zumindest mal aussprechen sollen. Keine Reaktion. Auf die Frage, was ich mit seinen Sachen machen soll die er noch bei mir hat- Schweigen. Ignoranz. War aber immer der erste, der meinen Status gelesen hat. Ich schrieb daraufhin, dass er ja offensichtlich kein Interesse mehr daran hatte mit mir zu reden oder irgendwas zu klären, dann soll er dieses ständige Statuslesen auch lassen. Ohne ein Wort wurde ich überall gelöscht.

    Kein einziges Wort war ich ihn mehr wert.

    Er kann aber mit allen Anderen sich jetzt treffen, fröhlich rumalbern, lachen, Scherzen, usw.

    Das Ding ist- er wusste genau, wie sehr mich sein Verhalten verletzt. Das hat er mir selbst bestätigt. Aber auch gesagt, dass das mit dem ghosten und ignorieren immer wieder passieren wird. Er ist sich seinen Problemen eigentlich bewusst und ist in Therapie ( zumindest sagte er das… ich weiß nicht mehr, was ich glauben kann und was nicht…)

    Und irgendwo ist er ein erwachsener Mann der, wie gesagt, ganz genau weiß, was das alles mit mir macht.

    Und nach über einem Jahr, wo nun doch eigentlich keinerlei Druck irgendwo hinter ist, ist er nicht in der Lage, vielleicht mal irgendwas zu mir zu sagen? Sowas wie „war blöd, lass uns aussprechen“ oder so. Irgendwas. Da kommt absolut nichts mehr. Es scheint ihm alles egal zu sein- er weiß wie sehr er mich verletzt hat und lebt sein Leben ohne Reue einfach komplett normal weiter als wäre da zwischen uns nie was gewesen.


    Erst kürzlich sind wir uns im Treppenhaus begegnet. Es war außer uns niemand da, unsere Blicke haben sich getroffen, er hat mich also sehr wohl registriert. Wenn er gewollt hätte, hätte er was sagen können. Hat er aber nicht. Die Möglichkeit hat er aber auch eigentlich täglich. Wenn er es wollen würde oder zumindest Ein bisschen Interesse an mir hätte, könnte er es tun. Aber scheinbar ist da wirklich nach über einem Jahr ganz viel Desinteresse und es scheint ihm auch scheissegal zu sein, wie ich damit zurechtkommen soll. Und da frage ich mich- was davon ist wirklich noch Bindungsangst und was von alldem ist wirklich Desinteresse und viel schlimmer- einfach charakterloses Arschlochverhalten?

    Ich hab Verständnis für jede Art von Angst. Aber geht dieses Verhalten nicht irgendwie weit darüber hinaus?

  • Straeusschen69 und Haaasi:


    Danke für eure Antworten, ich habe mich sehr gefreut und möchte darauf eingehen.


    Um noch mal zu entwirren, wer was gesagt hat: Ich wollte tatsächlich versuchen, meine eigene Geschichte aus der Fragestellung herauszuhalten.

    Die erwähnte Diskussion (auch allgemein gehalten) spielte sich mit zwei Personen auf Facebook ab. Ausgangspunkt war die oft gelesene pauschale Aussage, dass jemand, der sich "nicht mehr meldet", schlicht und ergreifend kein Interesse hätte. Dem widersprach ich mit dem Einwand "Bindungsangst", woraufhin die oben genannten Erwiderungen kamen. Beide Frauen kennen natürlich meine konkrete Geschichte überhaupt nicht. Deswegen fand ich es übergriffig, dass mir eine der beiden andichten wollte, ich würde "in einer Scheinwelt" leben usw. Und sie unterstellte mir, ich würde Ausreden suchen für ihn (Bindungsangst), anstatt mir einzugestehen, dass er eben einfach nicht will.

    Ich habe das Ganze dann auch einfach abgebrochen. Soweit zu Facebook. Aber damit kam ich auf mein Thema: Bindungsangst als Ausrede? (Und ich meine damit keine anderen Ausreden, die ich hier vortragen könnte.)


    Ich habe oft gehört bzw. eher gelesen, dass ein nichtinteressierter (potentieller) Partner beispielsweise beim ersten Kennenlernen sich auf eine angebliche Bindungsangst beruft, um seine Unverbindlichkeit zu rechtfertigen. Oder das Gegenüber redet sich womöglich selber ein, dass der nicht ausreichend interessierte und engagierte Mensch ein Bindungsthema hat. (Er ist verliebt, er will ja eigentlich, aber er kann nicht. Also liegt es nicht an mir.) In Wahrheit hat er aber gar keine Bindungsangst!

    Oft wird dann auch beobachtet, dass die angebliche Bindungsangst bei der nächsten Frau, beim nächsten Mann wie durch Zauberhand "verschwunden" ist.


    Was meinen konkreten Fall betrifft:

    Zwischen ihm und mir wurde das Problem Bindungsangst nicht thematisiert, schon gar nicht als Ausrede. Ich habe aber in einer Langzeittherapie sehr detailliert alles mit meiner Psychologin besprechen können, und für sie spricht alles eindeutig für Bindungsangst. Meine Beziehungsberaterin ist auf das gleiche Ergebnis gekommen. Ich habe also nicht im stillen Kämmerlein gesessen und mir irgend etwas "zusammengereimt", nur um besser mit der gescheiterten Liebe zurechtzukommen. Eigentlich muss ich sogar sagen, dass ich es mit dieser Erklärung erst recht tragisch finde. Im Grunde sind wir ja beide die traurigen Opfer seines Bindungsthemas.

    Beide, meine Beziehungsberaterin sowie meine Psychotherapeutin, habe ich übrigens bereits 2017 bzw. 2018 gefunden, als ich voller Verzweiflung Hilfe suchte bei der Verarbeitung einer traumatischen Beziehungserfahrung (narzisstische, borderlinige Züge des damaligen Partners). Dann fand ich IHN, alles begann zauberhaft, und meine beiden Profis (vor allem meine Therapeutin, denn die Beraterin leistete ich mir nur selten) durften dabei zusehen, wie ich eigentlich in die nächste Katastrophe rutschte. Das nur nebenbei.


    Ich schreibe später weiter ... .

  • Weiter geht's:


    Ich weiß, dass dieses "Zurückspringen" (Desinteresse quasi über Nacht) eine Folge der Bindungsangst ist. Ein "normales" Entlieben kommt ja in der Regel nicht so plötzlich und grundlos und vor allem nicht in einem Moment, wenn man sich gerade erst so weit vorgewagt hat, dass man sich endlich zueinander bekennen und sagen würde: So ist es. Wir lieben uns und gehören zusammen.

    Und ja, das meinte ich ja: Der Bindungsängstler ist sich der Angst meistens nicht bewusst, daher kann er logischerweise dagegen nichts unternehmen. Er bildet sich ein, sein Gegenüber hätte ihn verletzt, enttäuscht, wäre irgendwie anders geworden u.ä.

    Er sagt sich nicht selbst bewusst: Oh, das wird mir jetzt zu nah, zu eng, zu schön, da muss ich fliehen, sondern er empfindet ein inneres Chaos und muss sich retten. Und ja, ich bleibe dabei, übersetzt heißt das natürlich, dass er vor sich und seinen eigenen Gefühlen wegläuft und nicht vor mir.

    Aus dieser alles überlagernden Angst heraus und der Notwendigkeit, sich zu retten und zu schützen (nicht bewusst gesteuert, sondern tief verankert im Unterbewusstsein, entstanden aus ganz frühen Traumatisierungen), ist es dann oft unmöglich, das Ganze wie ein Erwachsener sachlich zu klären.

    Meine Therapeutin gebrauchte mal das schöne Bild: Er ist wie ein Ertrinkender im weiten Ozean, der verzweifelt strampelnd versucht, Boden unter den Füßen zu bekommen. Da kann er sich um sein Gegenüber nicht (mehr) kümmern.

  • Deine Geschichte, Haaasi, finde ich traurig, und in manchen Punkten sehe ich Parallelen zu meiner Erfahrung.

    Eine interessante Frage, die ich mir auch schon gestellt habe: Wo endet die Bindungsangst, wo aber fängt das "Arschlochverhalten" an. Das bedeutet ja, dass ich entscheiden muss, bis zu welchem Punkt ich verzeihen kann und ab wann ein Verhalten definitiv unentschuldbar ist.

    Da fällt mir noch ein anderes Bild ein, was gut zu mir und meinem BÄ passt (hab ich von meiner Beraterin):

    In seiner Angst und Panik hat er mit seinem Messer blindlings umhergefuchtelt und mich damit getroffen, ohne dass er das gewollt hätte. Ich bin nicht die Stoßrichtung, aber er hat mich quasi erwischt. Er hat mich "erdolcht" (gute Metapher, denn genauso fühlt es sich an). Also hat es nichts mit mir zu tun (aber ich muss es natürlich ausbaden), und ich habe auch nichts falsch gemacht (das ist wichtig, denn ich neige extrem zu Schuldgefühlen), das Problem liegt in ihm.

    Nun haben Menschen ja unterschiedliche Persönlichkeitsstrukturen (abseits von der Bindungsangst), und gemäß dieser Muster verhalten sie sich auch.

    Da musste ich ähnliche Erfahrungen machen wie du: Ich habe IHN bis vor kurzem immer noch einmal wöchentlich gesehen (Theaterspiel), und ich habe eine ganze Palette von Abwehr und Zurückweisung einerseits und Hinzubewegung andererseits erleben müssen. Im Grunde wollte er mir immer beweisen, dass ich ihm ja nichts (mehr) bedeute und er gut ohne mich auskommt. Aber mit seinem ambivalenten und manchmal schon kindlichen bis grotesk- albernen Verhalten ist er in seiner "Nichtbeachtung" um mich herumgetanzt und hat das ganze Gegenteil bewiesen.

    Auch mit einem zeitlichen Abstand, in welchem er doch zur Ruhe gekommen sein und sich wenigstens ansatzweise gefangen haben müsste, war nie ein Gespräch möglich. Er hat sich auch nie erkundigt, wie es mir damit geht, was da mit uns passiert ist, geschweige denn dass er auch nur mit einem Wort über seine eigenen Gefühle direkt gesprochen hätte.


    Ich bin da ganz anders: Ich reflektiere, rede, stehe zu meinen Gefühlen. Ich möchte klären, helfen und retten. Ich stelle mich. Er leider nicht.


    Thema Verlustangst:

    Ja, das habe ich auch so verinnerlicht. Wir haben beide einen ähnlichen Schmerz in uns, wir haben beide Verlustangst und Angst, nicht zu genügen.

    Nur bei ihm äußert sich das dann in krasser aktiver Bindungsangst, Beziehungsunfähigkeit, Abwehr, und ich kann ewig nicht loslassen, lasse über meine Grenzen gehen usw. Ich liebe weiter, obwohl eindeutig schlimme Verletzungen geschehen sind.

  • Deswegen fand ich es übergriffig, dass mir eine der beiden andichten wollte, ich würde "in einer Scheinwelt" leben usw. Und sie unterstellte mir, ich würde Ausreden suchen für ihn (Bindungsangst), anstatt mir einzugestehen, dass er eben einfach nicht will.

    Hallo Annerike,
    auch wenn ich verstehen kann, dass die Formulierung "Scheinwelt" Dich hart trifft, ist es aber tatsächlich ein gar nicht so untypisches Phänomen bei an komplexer posttraumatischer Belastungsstörung Leidenden, die sich gern in unsicher gebundenen Verbindungen wiederfinden. Es nennt sich "Limerenz". Auch die Fähigkeit zur Idealisierung als Überlebensmechanismus aus der Kindheit spielt eine Rolle. (Negative Dinge potenziell rosa-roter sehen oder schönreden, als sie es tatsächlich sind.) Ob das auf Dich zutrifft, kann und will ich nicht einschätzen. Ich wollte den Begriff nur erwähnt haben, um meine Aussage zu fundieren.


    Die Dame hat dieses Konzept sicherlich nicht gemeint und Dich damit - ohne Deinen Kontext zu kennen - auf einer sehr persönlichen Ebene äußerst unsensibel "angemacht", aber im Grunde trifft sie einen wunden Punkt. (Wenn wir ein realistischeres Bild von uns selbst und unserem potenziellen Partner und seinem Verhalten hätten, würden wir viel eher die Reißleine ziehen, egal ob jetzt BA oder Desinteresse der Grund für das inakzeptable Verhalten sind.)

    Zu Deinem persönlichen Fall: Au weh ... also ich habe mich jetzt 8 Jahre mit einem Hardcore-Bindungsvermeider, meinem geliebten Stachelschwein, herumgeplagt, aber so ein Arschloch (und ich habe das leider oft über ihn gedacht, da er Anzeichen von verdecktem Narzissmus hat, was mir auch schon seine Familie bestätigte) ist der nicht. Ihm tun seine Rückzüge selbst weh, und es ging ihm bisher jedes Mal richtig schlecht damit.

    Da ist aber jeder anders. Manche spalten ihre Schamgefühle und Unangenehmes einfach ab (Dissoziation) und machen weiter, als sei nichts geschehen. Man kann das von außen schlecht einschätzen. Leider sprechen diese Menschen, wenn sie den ersten Schritt der Selbsterkenntnis nicht gemacht haben, mangels Selbstreflexion ja auch nicht über ihr Gefühlsleben.


    Und im Endeffekt stimmt sogar die Einschätzung, dass jemand mit Bindungsangst letztlich einfach nicht will. Als mich mein Stachelschwein das erste Mal vor einigen Jahren ghostete, warf er mir vor: "Du willst nicht!" Das verwirrte mich, denn ich wollte ja. Heute weiß ich, dass das eine Projektion seiner Gefühle auf mich war. Dieses Wollen ist und bleibt der Schlüssel bei allen Ängsten, besonders bei Bindungsangst.


    Tut mir leid, dass Du so eine unangenehme Erfahrung machen musstest!

    Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

    (2. Tim. 1:7)

    9 Mal editiert, zuletzt von Wurmleiche ()

  • Liebe Wurmleiche, vielen Dank für deine Gedanken.

    Ich möchte mal notieren, was mir dabei durch den Kopf geht.

    Mit "Limerenz" konnte ich nie so recht etwas anfangen. Ich habe zwar deinen Link gelesen, bin aber dennoch etwas ratlos. Ist es denn etwas anderes als "Verliebtsein" in der ersten Verliebtheitsphase, wo die "rosarote Brille" etwas völlig Normales ist? Offensichtlich kommt wohl noch eine gewisse Besessenheit hinzu, und man ist nicht in der Lage, irgendwann endlich mal diese Brille abzusetzen und das Gegenüber kritischer, differenzierter zu betrachten? Und geht es auch darum, dass man, wenn die Liebe scheitert oder das Verliebtsein ins Leere führt, die Realität nicht anerkennt, in einer "Scheinwelt" haften bleibt, in der man sich alles schönredet und immer noch auf ein glückliches Ende hofft?

    Was davon trifft auf mich zu?

    Um auf den Begriff "Scheinwelt" zurückzukommen (ja, mich hat das getroffen, weil eben jene Dame sich aus drei sachlichen Zeilen ein persönliches Urteil über mich erlaubt hat, ohne das Geringste von mir zu wissen):

    Das trifft, denke ich, nicht auf mich zu. Es ist ja nicht so, dass ich mir irgendetwas eingebildet oder eingeredet oder mich blindlings in eine Liebesgeschichte gestürzt habe. Im Gegenteil, ich denke, ich war trotz heftiger Verliebtheitsgefühle sehr vorsichtig und (selbst-) kritisch. Und vor allem hatte ich ja das Glück, dass meine Psychotherapeutin innerhalb meiner Langzeittherapie die Situation sehr genau analysieren und interpretieren konnte und kann und meine Beziehungsberaterin, welche ich von Zeit zu Zeit konsultierte und die unsere Geschichte also auch kennt, das Ganze deckungsgleich beurteilt.

    Zusammengefasst: Da war ein Zauber, offensichtlich Verliebtsein und Begehren bis hin zur Liebe - beidseitig. Dass er plötzlich fliehen musste, ausgerechnet in dem Moment, wo es so nahe und schön war und man sich eigentlich zueinander bekennt, haben beide Therapeuten auf ein bindungsängstliches Thema zurückgeführt. Das hat mit "normalem" Entlieben und Desinteresse ja erst einmal tatsächlich nichts zu tun. Auch das habe ich mir ja nicht in meinem stillen Kämmerlein zurechtgelegt. Und dass ein Bindungsängstler ein Mensch in Not und Verzweiflung ist und im Grunde sich selbst sabotiert und schadet und damit einen anderen Menschen, der ihn aufrichtig liebt, geschieht ja nicht aus Gleichgültigkeit oder Boshaftigkeit heraus.


    Nun aber ich. Wie reagiere ich? Was fange ich an?

    Ich liebe ihn weiter. Er kam wie eine "Naturgewalt" in mein Leben (nachdem ich gerade eine andere schlimme Beziehungserfahrung verarbeitet hatte), es hat ganz gewaltig gefunkt, er hat mich verzaubert. Sein Strahlen war wie eine Sonne für mich, er hat mich angehimmelt und ich ihn. Seelenverwandt, so nahmen es (auch) Außenstehende wahr. Aber von Anfang an (und das kann ich erst so richtig nochmal in der Rückschau einordnen) war er ambivalent, unsicher, hat sich bedeckt gehalten. Es war Flirt, Tanz, ein Hin und Her. Wann ist der Punkt erreicht, dass ich mir sagen muss: Er weiß nicht, was er will, kann nicht zu seinen Gefühlen stehen oder was auch immer, entweder ich belasse es bei einer Art Freundschaft oder ich verzichte komplett auf ihn? Und dann "bekannte" er sich, es rutschte ihm heraus auf ungeschickte Art und Weise, so dass er wohl vor sich selber erschrocken war und auf Abstand ging zu mir. Ich war schockiert, traurig und verletzt, ich litt und ich dachte, ich hätte es vermasselt, was Falsches gesagt. Also versuchte ich es zu klären, hoffte, dass alles noch gut würde. Und nein, meine Schuldgefühle sind laut meiner Therapeutin nicht berechtigt, weil das Problem in IHM liegt und nichts mit mir zu tun hat.

    Er vertröstete mich, ging mir aus dem Weg, zeigte, dass ich ihm noch was bedeutete, alles im Wechsel, er agierte aber immer verletzender. (Privat sahen wir uns allerdings nicht mehr.)

    Und ich hing weiterhin an ihm. Die Situation beruhigte sich zwar etwas im letzten Jahr, er konnte durchaus auch mal wieder einen Satz zu mir sagen und mich zur Begrüßung in den Arm nehmen, aber ansonsten? Immer noch hektisches Fluchtverhalten, Angst.

    Ich hätte mich längst entlieben müssen bei all diesen Verletzungen, die nun mal geschehen sind.

    Und rational ist mir klar, dass hieraus nichts Gutes mehr entstehen kann. Mittlerweile sehen wir uns auch nicht mehr, dafür habe ICH gesorgt.

    Ich idealisiere ihn auch nicht, sehe seine Schwächen und dass er mir nicht mehr guttut.

    Ich kann ihn dennoch gedanklich nicht hinter mir lassen.

    Da zeigt sich wohl doch ein Stück Besessenheit. Abhängigkeit. Liebe auch, ja.

    Warum ist das so? Meine Lebenserfahrungen, sicher auch Prägungen aus der Kindheit haben mich so verlustängstlich werden lassen.

    Dann kommt aber auch hinzu, dass diese besondere Liebesgeschichte so komplex und sein Verhalten bisweilen so absurd und widersprüchlich sind, dass es mich immer wieder in den Gedankenstrudel hineinzieht, permanent eigentlich.

    Es ist alles so tragisch, das hält mich fest.

    Auch Mitgefühl spielt eine Rolle, Mitgefühl für ihn!

    Und das, obwohl er sich mir gegenüber unverzeihlich verhalten hat. Und da bin ich wieder bei der Frage, bis zu welchem Punkt man so ein Arschlochverhalten entschuldigen kann. So wie du es angedeutet hast, empfindest du das, was ich hier angedeutet habe, schon als zu extrem, um es zu verzeihen, oder?

    Und im Grunde sollte es mir egal sein, aus welchem Grund er so nach mir getreten hat. Fakt ist, er HAT getreten.

    Was du am Schluss sagst über das Nichtwollen: Ich würde es schon differenzieren, aber am Ende, ja, ist das Ergebnis für mich kein anderes.

  • Ich kann ihn dennoch gedanklich nicht hinter mir lassen.

    Da zeigt sich wohl doch ein Stück Besessenheit. Abhängigkeit. Liebe auch, ja.

    Warum ist das so?

    Liebe Annerike... diese Frage beschäftigt ja wirklich viele, die so eine Erfahrung machen mussten. Es dauert gefühlt viel zu lange, sich emotional zu lösen von einem Menschen, von dem man weiß, er hat einem auf Dauer nicht gut getan. Hier finden halt unbewusst diverse Prozesse statt, die man nicht mitbekommt, da sie „unsichtbar” für einen ablaufen. Unter anderem eben die anfängliche Idealisierung eines BÄ, der ganz automatisch auch beim Gegenüber unbewusste Dynamiken bewirkt.


    Schau mal hier auf dieser website:

    https://www.borderline-trennung.de/


    Lemo hatte die gefunden und ich finde, hier ist einiges aufgelistet, woran man vielleicht doch nochmal die eine oder andere Erklärung über die Zusammenhänge findet. Auch wenn es hier um Borderline geht und nicht jede/r BÄ gleich Borderliner/in sein muss, passieren auf der Nicht-Betroffenen-Seite ähnliche Reaktionen.


    Bzgl. dem Gefühl, dem Seelenverwandten begegnet zu sein, wird das hier mit der „Spiegelung” erklärt.

    Findest Du hier: https://www.borderline-trennun…-der-borderlinebeziehung/


    Ich persönlich neige dazu, zu behaupten, BL macht sich durch die Idealisierung des anderen ja quasi selbst zum Idealpartner. Passiert einem ja recht selten, dass jemand einem so sehr das Ich-finde-Dich-super-Gefühl gibt, von daher kein Wunder, dass es einem schnell gelingt, seine eigenen Schutzmechanismen fallen zu lassen und sich hier schnell sicher zu sein, den Richtigen gefunden zu haben. Würde man wissen, man wird idealisiert und idealisiert dadurch auch BÄ, würde man das ganze vielleicht nicht allzu ernst nehmen. ^^


    Es ist auch nicht ganz untypisch, dass man nach so einer Erfahrung nochmal eine weitere macht. BÄ hinterlassen nun mal tiefe Wunden in einem und dann ist man danach umso offener dafür, wenn einem jemand so „positiv” begegnet. Ich selbst habe diese Erfahrung auch schon gemacht... solange diese Wunden nicht geheilt sind, sollte man genau beobachten, was die Person in einem „anspricht” und hier genauer und länger prüfen, ob das der Wahrheit entspricht...


    Wenn man diese Person als Arschloch abstempelt, geht es vermutlich etwas schneller mit dem loslassen. Es wird schwieriger, wenn man weiß, man hat es mit einer Erkrankung/Störung zu tun, denn hier wechselt sich dann Wut und Verständnis gerne mal ab. Es gibt keinen wirklich Schuldigen... und dann behindert das auch den natürlichen Trauerprozess...

    Dann kommt aber auch hinzu, dass diese besondere Liebesgeschichte so komplex und sein Verhalten bisweilen so absurd und widersprüchlich sind, dass es mich immer wieder in den Gedankenstrudel hineinzieht, permanent eigentlich.

    Ja, das ist ganz typisch, denke ich. Unser Verstand strebt automatisch danach die Logik, den Sinn in der Absurdität zu finden... dem kann man sich fast nicht entziehen. Da das aber wirklich nicht mit nachfühlbarer Logik zu erklären ist, geht es dann so weit, dass man versucht die Erklärung anhand des eigenen Fehlverhaltens zu finden. Für den Verstand ist es wichtig, irgendeine Erklärung zu finden und wenn es dann am Ende gegen einen selbst gerichtet ist. Das gilt es zu erkennen und dann so weit es geht schnell zu unterbinden... man könnte sagen, der eigene innere Kritiker wird hier dann schnell aktiviert, befeuert... und alles nur aus der Not des Verstandes heraus, etwas Unlogisches logisch zu bekommen...

  • Liebe Straeusschen69,


    danke für deine Gedanken. Ich habe sie jetzt erst gelesen. Nicht aus Desinteresse, im Gegenteil, aber trotzdem schwingt immer auch ein wenig Angst mit, etwas hören oder lesen zu müssen, was mein Erleben und meine Kenntnisse anzweifelt, relativiert und was mich damit verletzen könnte. Ist das auch schon ein Symptom, "zu empfindlich" zu sein? Ich kenne diesen Vorwurf, allerdings nur von Menschen, die erfahren, dass sie meine Grenzen überschritten haben.

    In deinem Link habe ich gerade etwas von der diffusen Angst des Verlassenen nach der Trennung von einem ... (in dem Falle) Borderliner gelesen und habe mich darin überraschenderweise wiedergefunden. Ja, nach der Trennung vom "Vorgänger" bin ich in ein außerordentlich finstres, tiefes Loch gefallen und habe immer wieder von allgemeinen großen Angstgefühlen gesprochen, die für mein Empfinden über den Schmerz des Verlassenwerdens hinausgingen, zumal ich ziemlich rasch die Erkenntnis hatte, dass ICH diejenige hätte sein wollen und müssen, die den Schlussstrich zieht, und dass ich nichts Lebensnotwendiges, rundum Gutes verloren habe. Ich suchte mir damals eine Therapeutin, um besser aus dem Loch herauszufinden und zu verstehen, was da eigentlich Absurdes passiert ist. So kam heraus, dass mein Expartner gravierende Merkmale von Narzissmus und Borderline zeigte.

    Und jetzt, was meinen aktuellen "Fall" betrifft, so meinte meine Therapeutin neulich, dass sie sich bei seinem Verhalten (auch lange nach der "Trennung", solange wir uns wöchentlich begegnet sind) ebenfalls an das Borderline-Liebesprinzip erinnert fühle: Ich liebe dich, geh weg. Ich hasse dich, komm her.

    Du hast geschrieben, dass es wohl ganz typisch ist, hintereinander ähnliche Erfahrungen zu machen und dass man versucht, das Geschehene mit dem Verstand zu durchdringen. Damit bin ich nicht allein, das ist doch schon mal ein kleiner Trost.

    Was ich auch bestätigen kann: Die Erkenntnis, dass er eigentlich ein bedauernswerter Mensch ist, der sich selbst im Weg steht und sich selbst und nicht nur mir das Glück zerschlagen und die Liebe verweigert hat, hält bei mir nicht nur die Liebesgefühle und die Verletzung am Leben, sondern auch das Mitgefühl für ihn, die Sorge.

    Und wenn ich mir immer wieder vor Augen halte, wie mies er sich verhalten hat und dass ich ihm daher nicht nachtrauern muss, springt sofort wieder der Rechtfertigungsmodus an. Ach, der Arme, letztlich kann er doch nichts dafür, nicht so richtig jedenfalls, er ist kein böser Mensch, er hat aus Angst um sich geschlagen, er ist seiner Bindungsangst ausgeliefert , vor allem solange er nicht selbst erkennt, dass auch er Hilfe braucht.

    Wir haben seit Monaten keinerlei Kontakt mehr, und dennoch denke ich häufig darüber nach, ihn nochmals zu kontaktieren, um ihm klarzumachen, was er für ein Katastrophengebiet hinterlassen hat, dass ich ihn liebe und er mir hundertprozentig hätte vertrauen können, dass ich ihn nie verletzen wollte (es umgekehrt aber passiert ist) und dass ich ihm wünschen würde, ER würde sich Hilfe suchen, weil er ein Thema mit Bindungsangst hat.

    Wie erfolgreich wäre das? Wahrscheinlich würde er alles von sich weisen, oder? Ich will einfach nur meinen Seelenfrieden, aber eine Kontaktaufnahme (wenn, dann sowieso nur über Whatsapp oder Sprachnachricht) würde mich wieder angreifbar machen. Andererseits habe ich das Bedürfnis, alles einmal richtigzustellen, eher kann ich nicht loslassen. Es ist belastend, es mit einem Menschen zu tun zu haben, der sich nie einem klärenden Gespräch stellt, der nicht in der Lage ist, über seine Gefühle zu sprechen, der das immer geschickt vermeidet und so tut, als wäre nur ich "betroffen" und er hätte damit nichts zu tun. ("Verraten" hat er sich dennoch immer wieder.)

  • Hallo Annerike,


    Ich persönlich kann deinen Gedanken tatsächlich sehr gut nachvollziehen und empfinde es genauso.

    Im Gegenteil. Meine Therapeutin sagt mir in etwa: Je größer die Liebe, desto größer die Angst.

    Das bindungsängstliche Prinzip bedeutet: Ich begehre etwas (bzw. jemanden), wünsche mir die Bindung ganz intensiv, aber wenn ich es dann haben kann, macht es mir gleichzeitig so große Angst, dass ich fliehen muss.

    Wenn ich aber noch nicht erkannt habe, dass ich gar nicht vor meinem Gegenüber ausreiße, sondern vor mir selbst und meinen eigenen Gefühlen, dann kann ich logischerweise nicht um die Liebe meines "Partners" kämpfen.

    bzw...genauso hat es sich für mich angefühlt. Es fühlte sich nach Liebe an, sehr intensiv sogar...und genau dann...zieht der Sturm auf und verwüstet alles dagewesen von einem auf den anderen Moment. Schutt und Asche. War ein paar Stunden zuvor noch absolute Nähe und Verbundenheit war, physisch und mental.


    Es ist völlig verrückt und für die "Opfer" dieser persönlichen Katastrophe bleibt nur Schmerz, Verwirrungen und 1000 Fragen.


    Ich denke auch, dass genau diese intensive Gefühle, diese greifbare Verbundenheit früher oder später zu diesem Knall bei den Menschen führen und es gibt rein gar nichts was der Partner tun kann. Denn es hat tatsächlich mit dem Partner nichts zu tun, sondern kommt aus dem BAler heraus... Tragischerweise sind sich dessen aber viele nicht bewußt oder erkennen es nicht an.


    Einfacher ist es die Gründe für die Tat im Außen zu suchen, statt in sich. Daher wird ja ja auch zu meist kein konkreter Grund genannt, warum jemand "nicht glücklich" ist oder plötzlich einfach nicht mehr will. Ohne Vorankündigung, ohne Gründe... Einfach weg. Alle Brücken eingerissen.


    Das ist einfach unendlich schmerzhaft, wenn der geliebte Mensch aprupt so aus dem Leben verschwindet. Als ob nie was gewesen wäre. Es ist entwürdigent für die gemeinsame Liebe 😢.


    Aber ohne Selbsterkenntnis und Hilfe kann man da gar nichts tun und genau diese Machtlosigkeit lähmt einen selbst.


    Und selbst wenn derjenige es erkennt und anerkennt und sich Hilfe holt...ob es wirklich "geheilt" werden kann...ist nochmal eine ganz andere Frage.

  • Hi Annerike.

    Du beschreibst hier sehr genau die Situation, mit der man dann nach so einer „Beziehung” stehen gelassen wird und mit welch erheblichen Schwierigkeiten man bzgl. Verarbeitung und (erfolgreichem) Trauerprozess konfrontiert wird:

    Was ich auch bestätigen kann: Die Erkenntnis, dass er eigentlich ein bedauernswerter Mensch ist, der sich selbst im Weg steht und sich selbst und nicht nur mir das Glück zerschlagen und die Liebe verweigert hat, hält bei mir nicht nur die Liebesgefühle und die Verletzung am Leben, sondern auch das Mitgefühl für ihn, die Sorge.

    Und wenn ich mir immer wieder vor Augen halte, wie mies er sich verhalten hat und dass ich ihm daher nicht nachtrauern muss, springt sofort wieder der Rechtfertigungsmodus an. Ach, der Arme, letztlich kann er doch nichts dafür, nicht so richtig jedenfalls, er ist kein böser Mensch, er hat aus Angst um sich geschlagen, er ist seiner Bindungsangst ausgeliefert , vor allem solange er nicht selbst erkennt, dass auch er Hilfe braucht.

    Es ist diese innere Zerrissenheit, dieser eigene Zwiespalt. Einerseits erlebt man heftige Verletzungen, andererseits erkennt man durch mehr Wissen darüber, wie traumatisiert diese Menschen eigentlich sind. Hier behindert dann Mitgefühl und Verständnis für diese Person den eigenen Heilungsprozess. Man erlebt sich selbst dann auch wie hin- und hergerissen, die eigenen Gefühle wechseln, es ist auch danach noch eine innere Achterbahnfahrt. Der Kopf sagt, ja, es ist doch irgendwie verständlich, das Herz sagt, nein, es ist/war eine Sauerei ^^ Das ist dann wie ein innerer Kampf.


    Ich denke, es ist wichtig, dass man sich beides gestattet. Man muss wohl beidem Raum geben und zwar ohne, dass das eine das andere relativiert oder neutralisiert. Üblicherweise versucht der Kopf dem Gefühl zu erklären, ja, aber, derjenige kann doch auch nichts dafür und das Gefühl verurteilt den Kopf nicht genügend im Schmerz gesehen zu werden. Wenn man diesen Prozess, der sich da in einem abspielt erkannt hat, wird es etwas leichter. Im Grunde braucht man einen inneren Vermittler, einen Mediator, der beiden sagt, ja, ihr habt beide absolut recht. Diesen Posten kann tatsächlich dann der eigene Verstand übernehmen. Denn unser Verstand hat die Fähigkeit, diesen Prozess in sich zu erkennen. Hierzu ist ein dann etwas mehr Selbstbeobachtung nötig. Was ist gerade aktiv? Wut, Ärger, Enttäuschung, Kränkung, Fassungslosigkeit? Ok, dann gebe ich dem jetzt mal bewusst Raum. Möglicherweise kommt genau dann aber der Kopf und sagt, halt Moment mal, Du kannst doch jetzt nicht so extrem diesen Gefühlen Raum geben, Du weisst doch, weswegen das so ist! Du musst mehr Mitgefühl haben!


    In dem Moment wird das eigene „Herz” ja wirklich auch verunsichert. Aus Mitgefühl soll es seine eigenen Verletzungen hinten anstellen? Und das, obwohl es selbst gerade Mitgefühl benötigt? Hm... ? An der Stelle kann man gut eigene Glaubensmuster aufdecken. Bin ich kein guter, liebenswerter Mensch, weil ich kein Mitgefühl habe? Verbiete ich es mir deshalb? Stelle ich meine eigenen Bedürfnisse hinten an, weil ich sonst Gefahr laufe, abgelehnt zu werden? Die Möglichkeiten sind hier natürlich breit gefächert, dies hier ist z.B. etwas, was ich in mir gefunden habe.


    Hier liegt im Grunde das Potential der eigenen Entwicklung. Der Fokus geht weg vom „BÄ”, hin zu sich selbst. Und hier findet dann auch Erleichterung statt. Denn hier hat man dann wieder die Möglichkeit Einfluss zu nehmen. Es ist nicht mehr dieses Gefühl der Ohnmacht, Hilflosigkeit oder Achterbahnfahrt... denn es sind die eigenen Glaubensmuster, die das in einem auslösen.


    Ich halte es so, dass ich versuche, jedem (einzeln) seinem Raum zu geben. Versuche zu beobachten, wann das eine das andere aushebeln möchte und vor allem: weswegen. Ist der innere Prozess erkannt, kann ich es einigermassen organisieren, es hintereinander ablaufen zu lassen und nicht parallel. Es gibt also Zeiten für Wut und Ärger und es gibt Zeiten für Mitgefühl und Verständnis. Eins nach dem anderen. ^^ Gelingt mal gut, mal nicht, aber auch das ist ok.


    ....und dennoch denke ich häufig darüber nach, ihn nochmals zu kontaktieren, um ihm klarzumachen, was er für ein Katastrophengebiet hinterlassen hat, dass ich ihn liebe und er mir hundertprozentig hätte vertrauen können...

    Diesen Impuls habe ich auch. Wobei es bei mir ein bißchen anders ist. Ich habe nicht mehr das Bedürfnis, meiner BÄ klarmachen zu müssen, dass sie mir zu 100% hätte vertrauen können... das liegt aber vielleicht auch daran, dass mir schon zu Zeiten der „Beziehung” klar war, ich hab das Problem nicht. In meinem Fall stand das Thema Bindungsangst schon im Raum, es war nur unklar, wie sehr es ihr bewusst ist oder nicht. Man kann sagen, es gab hier schon sowas wie eine Art Selbstdiagnose. Die ich im Nachhinein eigentlich nur bestätige. Ich weiß aber aus Erfahrung, es ist wesentlich schwieriger, wenn der/die Partner/Partnerin die „Diagnose” stellt. Hier hat man oft das Bedürfnis, die/der andere möge doch bitte einsichtig sein. Bitte erkennen, dass nicht ich das Problem bin, sondern eben die/der Betroffene. Möglicherweise ist es das, was Dich da von innen antreibt. Die Gewissheit, bzw. Bestätigung von Aussen, die Du bräuchtest, um Dir wirklich (!) sicher sein zu können, Du hast Nichts falsch gemacht... solange das ausbleibt, nimmt der innere Kritiker die fehlende Bestätigung gerne zum Anlass einen zu verurteilen und fertig zu machen... auch hier findet man durchaus interessante Glauben-/ und Verhaltensmuster die gerne mit Opfer- und Täterrolle zusammenhängen... in solchen „Beziehungen” wechselt man ja oft die Rollen: vom Retter zum Täter. Hierzu gibts unter dem Begriff „Drama-Dreieck” mehr Infos... hat mir persönlich die Augen geöffnet und weiter geholfen...


    Liebe Grüße

  • Nachtrag :) :

    Mein Impuls, Kontakt aufzunehmen, resultiert auch aus dem Gefühl, etwas klarstellen zu wollen. In meinem Fall handelt es sich hier um Unterstellungen, auf die ich hochallergisch bin. Bei mir wurden Wahrheiten so verdreht, dass ich für etwas indirekt verantwortlich gemacht werde, was ich aber nicht verschuldet habe. Es ist schwer für mich auszuhalten, hier nicht in die Erklärung und Rechtfertigung zu gehen und diesem Impuls stand zu halten. Solange ich aber noch nicht genau herausgefunden habe, mit was ich hier innerlich (wirklich) kämpfe, lasse ich es. Ich weiß zumindest, es zieht aus meiner „Täterrolle” heraus und dies hat natürlich geschichtliche/familiäre Hintergründe... und hier ist die Ursache zu suchen, nicht bei meiner „Ex”. :)


    Ich gehe davon aus, es ist deshalb auch so anstrengend und schwierig mit einer „Trennungssituation ohne Klärung” klar zu kommen, weil man alleine hierdurch schon mit so vielen eigenen Glaubensmustern konfrontiert wird, die man erst mal aufdecken und abarbeiten muss, eh man selbst realisiert, ja, es passt dann halt einfach nicht.

  • Was ich auch bestätigen kann: Die Erkenntnis, dass er eigentlich ein bedauernswerter Mensch ist, der sich selbst im Weg steht und sich selbst und nicht nur mir das Glück zerschlagen und die Liebe verweigert hat, hält bei mir nicht nur die Liebesgefühle und die Verletzung am Leben, sondern auch das Mitgefühl für ihn, die Sorge.

    Und das kann ich dir so nachfühlen.

    Ich habe tiefes Mitgefühl mit ihm und finde es unendlich traurig, dass er es nicht schaffen wird Glück für sich, in sich finden und vermutlich in immer gleiche Situation geraten wird. Und dabei weitere Menschen sehr unglücklich macht.


    Er hat Glück verdient. Manchmal zerreißt mich das regelrecht, weil er ein so wertvoller Mensch ist. Aber er wird immer wieder an sich selbst scheitern und das Glück zerfetzen.


    Meine Gefühlschaos bewegt sich über viele Ebenen. Ich sortiere noch.


    Es muss sich schrecklich anfühlen sich selbst so ausgeliefert zu sein, so machtlos und so stark mit sich und seinen Emotionen zu kämpfen zu müssen...irgendwann gibt man dann wohl auf.


    Versuche häufig mich darein zu versetzten und es mit anderen Angststörungen zu vergleichen. Zum Beispiel vor Höhe oder vor Brücken...der Betroffene vermeidet die Situation dann zumindest, was ja auch gut möglich ist. Aber was kann der Bindungsängstler tun?!


    Die Angst ist allumfänglich und man kann nicht ausweichen und vermeiden...es ist ein Dauerzustand. Den Vergleich mit dem Ertrinkenden finde ich ziemlich passend... Und dann ist mein Mitgefühl wieder ganz oben auf.

  • Und dann ist mein Mitgefühl wieder ganz oben auf.

    Bei aller Liebe, Dein Mitgefühl sollte in Deiner Situation im Moment erst einmal Dir selbst gelten!


    Der macht Euren Traumurlaub und 7 Jahre Beziehung eigenmächtig kaputt, schmeißt Dich aus Deinem Zuhause raus (der aktuell besch...ne Wohnungsmarkt hätte Dich auch mal eben in die Obdachlosigkeit befördern können, wenn Du kein gutes Unterstützungsnetzwerk gehabt hättest!) und lässt Dich allumfänglich hängen, und Du schaust weiter nur bei ihm und entschuldigst das quasi noch?


    Ich war letztes Jahr auch in dieser Phase, aber dieser Mensch ist für sein Handeln Dir und anderen ggü. genauso zur Verantwortung zu ziehen wie jeder andere. Diese Erkenntnis ist wichtig für die eigene Abnabelung. Trotzdem ist Mitgefühl natürlich wichtig für die Vergebung, keine Frage.


    Ich würde Dir aus eigener Erfahrung empfehlen, seine Gefühle am besten bei ihm zu lassen - dieses Spekulieren über die Gefühle von jemand anderem finde ich persönlich mittlerweile müßig bis übergriffig. Mir ist das letztes Jahr erstmalig richtig negativ aufgefallen, wie anmaßend es sich anfühlt, wenn jemand einem ohne weitere Kenntnis Gefühle unterstellt, die überhaupt nicht da sind und mich als diejenige, die das wohl am besten einschätzen kann, auch gar nicht fragt bzw. noch schlimmer, Dritte hinter meinem Rücken konsultiert, um das zu erörtern!

    Denn Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

    (2. Tim. 1:7)

    6 Mal editiert, zuletzt von Wurmleiche ()

  • Versuche häufig mich darein zu versetzten und es mit anderen Angststörungen zu vergleichen. Zum Beispiel vor Höhe oder vor Brücken...der Betroffene vermeidet die Situation dann zumindest, was ja auch gut möglich ist. Aber was kann der Bindungsängstler tun?!


    Die Angst ist allumfänglich und man kann nicht ausweichen und vermeiden...es ist ein Dauerzustand. Den Vergleich mit dem Ertrinkenden finde ich ziemlich passend... Und dann ist mein Mitgefühl wieder ganz oben auf.

    Wobei die Angst in der Regel eben nicht als Angst auftaucht, es wird eher als Desinteresse, Ekel, Langeweile oder verlorenen Gefühle empfunden.

    ich durfte mit z.B. anhören, daß die Zeit mir mir verschwendet Zeit sei. Freundschaftlich etwas zu unternehmen wäre aber OK gewesen?!?